Der öffentliche Dienst hofft auf den Schlichter

■ Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst sind gescheitert. ÖTV-Chef Herbert Mai fordert: „Schlichtung ernsthaft versuchen“

Berlin (taz) – Bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst richten sich alle Hoffnungen jetzt auf die Schlichtung. Denn erwartungsgemäß scheiterten Mittwoch abend die Verhandlungen. Die Schlichtungsgespräche sollen am kommenden Mittwoch beginnen. Geleitet wird die Schlichtungskommission, der je neun Vertreter beider Lager angehören, von dem früheren Bremer Bürgermeister Hans Koschnick (SPD). Die Arbeitgeberseite hat den ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Carl-Ludwig Wagner (CDU), als „Unparteiischen“ benannt.

Zuletzt hatten die Arbeitgeber den Gewerkschaften eine lineare Entgelterhöhung um ein Prozent angeboten und gleichzeitig Einschnitte bei der Lohnfortzahlung und der Alterszusatzversorgung gefordert. Nach Angaben von Bundesinnenminister Manfred Kanther wäre dies auf eine Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte von 1,4 Prozent hinausgelaufen. Ein „Angebot“, das die Gewerkschaften als „unverfroren“ zurückwiesen.

Das Forderungspaket der Gewerkschaften läuft dagegen auf eine Zusatzbelastung der öffentlichen Kassen in Höhe von 4,5 Prozent hinaus. Der Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV, Herbert Mai, wertete den Kanther-Vorschlag „als absolut nicht von dieser Welt“. Einen Schlichtungskompromiß schloß Herbert Mai gleichwohl nicht aus.

Der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Saarbrückens Oberbürgermeister Hajo Hoffmann (SPD), kündigte im Saarländischen Rundfunk an, bei der Lohnfortzahlung für Kranke müsse es eine Besitzstandswahrung geben. Nach dem offiziellen Arbeitgeberangebot sollen die Arbeitnehmer im Krankheitsfall entweder auf einen Teil des Weihnachtsgeldes oder auf Urlaubstage verzichten.

Streit gibt es auch um die Zusatzversorgung. Sie wird bisher allein von den Arbeitgebern finanziert und soll den Arbeitnehmern eine bessere Altersversorgung sichern. Weil die bisherigen Beitragssätze angesichts der steil wachsenden Zahl von Ruheständlern nicht ausreichen, verlangt Kanther eine Beteiligung der noch aktiven Arbeitnehmer. So „ganz von dieser Welt“, wie die Gewerkschaften tun, ist diese Forderung nicht. Bis 1973 sahen die Tarifverträge im öffentlichen Dienst solche Eigenbeträge noch vor.

„Heikle Gespräche“ erwartet Hoffmann auch über die geforderte Anpassung der Ostgehälter an das Westniveau. Zur Zeit beziehen die ostdeutschen Beschäftigten 85 Prozent des Westentgelts. Auch die Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche möchten die Gewerkschaften auf die im Westen übliche 38,5-Stunden-Woche anpassen – bei vollem Lohnausgleich. Gerade ostdeutsche Arbeitgebervertreter wie der Finanzminister von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Schaefer (SPD), halten diese Forderungen für unerfüllbar. Angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte sei die Arbeitszeitverkürzung nur bei „gleichzeitigem Lohnverzicht“ denkbar, so Schaefer gegenüber der taz. Schaefer glaubt, daß ein solch begrenzter Lohnverzicht auch auf Akzeptanz stößt, „zumal der öffentliche Dienst im Osten weit besser zahlt als die gewerbliche Wirtschaft“. Ob die gewerkschaftliche Basis einen entsprechenden Schlichterspruch tatsächlich schlucken würde, steht dahin. Unvergessen ist in der ÖTV das Jahr 1992, als die Führung um Monika Wulf-Mathies einen Schlichterspruch akzeptierte, den die Basis anschließend per Urabstimmung wegfegte. Walter Jakobs