Editorial

Vor gut einem Jahr hat der Publizist Lutz Hachmeister sich anläßlich des 50. Spiegel-Jubiläums in einem taz-Dossier mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit des Magazins beschäftigt. Unter anderem zeichnete er nach, wie in den fünfziger Jahren zwei SS- Offiziere an die Spitze von Spiegel-Ressorts gelangten.

Das taz.mag-Dossier der letzten Woche beschäftigte sich wieder mit einem Thema, bei dem alte Nazis die Geschichtsschreibung via Spiegel beeinflußt haben. Allen voran der erste Gestapochef Rudolf Diels, auf dessen Aussagen sich Augstein bei seinen Polemiken gegen diejenigen stützte, die die Täterschaft der Nazis nachzuweisen versuchten.

Hachmeister hat in einer Monographie, die kommenden Monat im C.H.Beck-Verlag erscheint („Der Gegner-Forscher“), die Motive beleuchtet, die Augstein damals dazu brachten, Journalisten und Rechercheure mit Nazi-Vergangenheit für sich arbeiten zu lassen: „Der Spiegel... verstand sich als deutschnationales Blatt, dessen Mitarbeiter zuallererst für die Souveränität und Einheit einer Nachkriegsrepublik zu fechten hatten... Bei der Auswahl von Informanten und Redakteuren dachten Augstein und (sein Verlagsleiter) Becker funktional: Wer Insider-Kenntnisse loswerden wollte, wurde honoriert.“

Solches Wissen hatten auch die Kriminalbeamten, die im Auftrag Hermann Görings 1933 den Reichstagsbrand untersuchten und später maßgeblich die Spiegel-Berichterstattung beeinflußten. Augstein vertrat, wie auch Hachmeister zeigt, eine Politik der Zentralisierung des Kriminalapparats, und dafür brauchte die Bundesrepublik, so meinte er, diese führenden NS- Kriminalisten. Einigen von ihnen verhalf er zu einer neuen Karriere. Michael Rediske