Große Reise für die kleinen Diebe

Senatsverwaltung für Jugend reist nach Bukarest, um mit den dortigen Behörden über die „Rückführung“ der in der Stadt aufgegriffenen „Klaukinder“ zu beraten. Knirpse werden von kriminellen Banden eingeschleust  ■ Von Plutonia Plarre

Die Reise könnte für das Schicksal von 50 bis 100 kriminellen rumänischen Kindern entscheidend sein. Am 11. März wird eine Delegation der Senatsjugendverwaltung für vier Tage nach Rumänien fahren, um mit den Behörden in Bukarest über „die Rückführung“ in Berlin aufgegriffener strafunmündiger sogenannter „Klaukinder“ zu beraten. „Unser Hauptziel ist, daß die Kinder zu ihre Familien zurückkehren“, sagt Jugendstaatssekretär Klaus Löhe (SPD). Wenn dies nicht möglich sei, sollten die Betroffenen in kindgerechten Einrichtungen untergebracht werden. „Wir wollen darauf hinwirken, daß der rumänische Staat die Verantwortung für seine Kinder übernimmt.“

Nachdem die dortigen Behörden in Vorgesprächen positiv reagiert hätten, ist Löhe optimistisch, daß es bei dem Besuch zu entsprechenden Vereinbarungen kommt – auch wenn davon auszugehen sei, daß „ein Teil der Kinder nach Berlin zurückkommen wird“. „Wir müssen es wenigstens versuchen“, so Löhe.

Sowohl der Kindernotdienst als auch die Kriminalpolizei begrüßen die Reise. „Endlich ist Stahmers Behörde aufgewacht“, sagt der Leiter des Kindernotdienstes, Karl Droescher, der schon lange eine klare politische Linie im Umgang mit rumänischen Kindern fordert. Der Kindernotdienst steht tagtäglich vor dem Problem: was tun mit den kleinen 8- bis 14jährigen strafunmündigen Rumänen, die zum wiederholten Male von der Polizei beim Taschendiebstahl erwischt und in der Einrichtung abgeliefert werden.

Aufgrund ihres illegalen Aufhaltsstatus fallen die Kinder bei den Behörden durch alle Maschen. Es gibt für sie weder finanzielle Zuwendungen noch Unterbringungs-, geschweige denn Betreuungsangebote. „Die Masse haut durch die Hintertür sofort wieder ab, weil wir ihnen sowieso nichts anbieten können“, beschreibt Droescher das Dilemma.

Der Leiter des Kindernotdienstes fordert den Senat deshalb auf, entweder sozialpädagogische Angebote zu schaffen, oder für schnelle Abschiebungen zu sorgen. „Ich persönlich“, so Droescher, „hätte kein Problem damit, diejenigen Kinder sofort in den Flieger zu setzen, die ausschließlich aus kriminellen Erwägungen von Bandenmitgliedern nach Berlin geschleust worden sind.“ Aber wenn man das als Pädagoge laut sage, „wird man gleich als Faschist beschimpft“, beschreibt Droescher die Situation. Auf die Frage, ob und wie man „diese geschädigten Kinder überhaupt in unser Sozialwesen integrieren könne und wolle“, fiele den Abschiebungskritikern aber meist auch nichts ein.

Was ihre Anzahl angeht, sind die von der Polizei ermittelten, kriminellen rumänischen Kinder eine sehr kleine Gruppe. Der Vorgesetzte des Kripo-Sonderreferats für rumänische Bandenkriminalität, „Rumba“ genannt, Peter Preibsch, spricht von 30 bis 50 mehrfach bei Straftaten in Erscheinung getretenen rumänischen Kindern und Jugendlichen. Es seien ausschließlich Jungen, meist zwischen 10 und 16 Jahre alt. „Sie sagen von sich selbst: Ich bin ein Klaukind“, erklärt der Kriminaldirektor. Die Klaukinder „gehören“ sogenannten rumänischen Kinderbandenführern. Die Kripo weiß von der Existenz von mindestens zehn solcher Kinderbandenführer in der Stadt. Diesen Hintermännern das Handwerk zu legen ist äußerst schwer. Die Kinder würden von den Hintermännern wie Leibeigene behandelt.

Den Knirpsen werde eingebleut, daß sie sich in Deutschland nur vor den Kinderbandenführern selbst zu fürchten hätten – vor niemandem sonst, weil kriminelle Kinder bis zum Alter von 14 Jahren nicht bestraft werden können, so Preibsch. Ein Kinderbandenführer habe drei bis fünf Kinder, die für sie Straftaten, meist Taschendiebstähle und Einbrüche, begingen. Die Summe, die ein Klaukind dadurch im Monat zusammenbekommt, beziffert Preibsch auf 15.000 bis 30.000 Mark. Die Ablösesumme für kleine Taschendiebe betrage 20.000 Mark.

Vergangenen Dezember ist der Vorgesetzte des „Rumba“-Sonderreferats selbst nach Rumänien gereist, um sich ein Bild von den Verhältnissen zu machen. „Es war eine Zeitreise 50 bis 70 Jahre zurück.“ Die Armut der kinderreichen Leute sei bedrückend. In Richtung russische Grenze gebe es fast nur Pferdespannwagen. Nach Erkenntnissen der Kripo sind die vor ihrer Einschleusung nach Deutschland zu Dieben ausgebildeten Kinder von ihren Eltern meist an die Bandenführer für Summen von 500 bis 700 Mark verkauft worden.

In Berlin leben die Kinder in von Strohmännern angemieteten Wohnungen. Sie sind Täter und Opfer zugleich: Die Bandbreite der Brutälität ihrer Herrn reicht laut Preibsch von einer Tracht Prügel über „Kot essen müssen“ und sexuellen Mißbrauch bis hin zu Todesdrohungen. „Das sind keine polizeilichen Phantasien, sondern Erfahrungen der Jugendbehörden.“ In einem Fall geht die Kripo sogar davon aus, daß ein Klaukind umgebracht worden ist.

Auch wenn die Probleme dadurch bestimmt nicht gelöst werden, hält Preibsch die Reise der Berliner Delegation für sehr wichtig: Um die Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf die jungen Menschen zu schärfen.