Volles Rohr in Neufünfland

Erdgas ist ökologischer als andere fossile Brennstoffe – und ein Wachstumsmarkt. Die großen Stücke vom Energiekuchen in Ostdeutschland sind heiß begehrt ■ Von Matthias Fink

Für die Gasag interessierten sich einige. Als die Gas de France und die Bewag den Zuschlag für die Berliner Landesanteile erhielten, waren denn auch die leer Ausgegangenen nicht glücklich. Es hatte sich mal wieder gezeigt: Erdgas ist ein Wachstumsmarkt. „Wir haben 30 Prozent Anteil am Umsatz im Wärmemarkt“, erklärt Gasag-Pressesprecherin Brigit Stegmann, „also bei Industrie, Heizung und Warmwasserversorgung zusammengenommen – und wir wollen eine Umsatzverdoppelung auf 60 Prozent Marktanteil erreichen.“ Durch die stärkere Verbindung mit anderen Energieversorgern könnte es zudem leichter werden, ökologische Kurswechsel hin zum Erdgas im großen Stil durchzusetzen (die taz berichtete).

Gerade der Osten Deutschlands hat seit der Wende die Umstellung auf das schadstoffärmere Erdgas vorangetrieben. Im Westen, wo man gerne über die DDR-Braunkohleschwaden schimpfte, hatte seit den sechziger Jahren das Heizöl Furore gemacht, so daß viele eine erneute Umstellung scheuen. In West-Berlin etwa wird jede zweite Wohnung mit Heizöl erwärmt, im Ostteil nur jede fünfzigste. Dort hat fast jede vierte Wohnung noch Kohleöfen – ein großes Potential also. Mehr auf einen Schlag läßt sich für die Luftreinhaltung tun, wenn die im Osten verbreitete Fernwärmebeheizung umgestellt wird. Zahlen siehe Kasten)

Auch um das Gas überhaupt bereitzustellen, mußte man sich neu orientieren. Das Ferngasnetz, das das Beitrittsgebiet durchzog, war einseitig nach Osten ausgerichtet. Die Sowjetunion saß am entscheidenden Hebel. In Orenburg am Ural und in Jamburg am Ob-Busen, beide weit hinten in Rußland, geht das Erdgas auf die Reise. Durch Ukraine, Slowakei und Tschechien fließt es, bis es im sächsischen Sayda deutschen Boden erreicht. Zu Ost-Zeiten bürgte dieser Anschluß für internationale Verflechtung. Dies hat sich geändert. „Wir als Unternehmen der freien Marktwirtschaft haben unsere Bezugsquellen diversifiziert“, erklärt Ralf Borschinsky, Pressereferent der Verbundnetz Gas AG (VNG). Die Firma ist aus dem VEB Verbundnetz Gas hervorgegangen und hat das Ferngasnetz der DDR übernommen und erweitert. Damit das Gas aus verschiedenen Richtungen fließen kann, wurde allerlei Geld verbuddelt. In Vitzeroda bei Eisenach und in Steinitz bei Salzwedel entstanden Verbindungen zu dem westdeutschen Netz der Ruhrgas AG, die auch seit den Treuhand-Entscheidungen von 1991 35 Prozent des Aktienkapitals an der VNG hält. Auch nach Osten wurden neue Leitungen gelegt. Die Region um das polnische Jelenia Góra (Hirschberg im Riesengebirge) bezieht etwa ihr Gas von der VNG.

Der einstige VEB hat Konkurrenz bekommen. Die BASF-Tochter Wintershall erreichte durch Verträge mit der russischen Firma Gazprom Zugriff auf die Erdgaslieferungen, die in realsozialistischen Abkommen vereinbart worden waren. Da den neuen Wintershall-Tochterfirmen damit das Gas, der VNG aber die ostdeutschen Pipelines gehörten, stritten sie sich, ob die VNG verpflichtet sei, das Gas der Konkurrenz in die Rohre zu lassen, und wieviel Geld sie dafür verlangen dürfe. Während dies vor Gerichten ausgetragen wurde, ging Wintershall eigene Wege. Parallel, in nur 100 Kilometer Abstand zu der VNG-Leitung, die von Zwickau über den Grenzpunkt Vitzeroda nach Hessen führt, verlegte man eine eigene Trasse. Mit weiteren neuen Zweigen werden in Ostfriesland die erdgasreiche Nordsee erreicht sowie, ebenso strategisch wichtig, das pfälzische Ludwigshafen. Dadurch konnte die Wintershall-Mutter BASF 1994 ihr Stammwerk auf „eigenes“ Gas umstellen, so daß sie nicht mehr von Ruhrgas beziehen mußte.

Um nicht von den russischen Lieferungen abhängig zu sein, entschlossen sich die VNGler 1991, auch westliche Erdgasquellen zu benutzen. So können die Ostdeutschen seit 1993 etwa norwegisches Gas verbrennen. „Der Anteil der russischen Lieferungen soll weiterhin bei etwa 50 Prozent bleiben“, erklärt VNG-Sprecher Borschinsky, „und zwar bei wachsenden absoluten Mengen.“

Auch deutsches Gas hat man im Angebot, immerhin hat Deutschland einen Anteil von einem Prozent an der internationalen Erdgasgewinnung. Der deutsche Gürtel mit den größeren Vorkommen reicht vom Emsland über die Lüneburger Heide bis zur sachsen- anhaltinischen Altmark, so daß die VNG auch ein ostdeutsches Naturprodukt anbieten kann. Dieses hat allerdings einen schlechteren Brennwert als die norwegischen und russischen Gase und wird daher lieber für industrielle Zwecke genutzt. Ganz verzichten kann man jetzt auf das teure, umweltfeindliche Stadtgas. Im Sommer 1995 wurde in Leipzig an der letzten Stadtgasleitung eine große Flamme entzündet und dann feierlich gelöscht.