Deine Zeit gegen meine

■ Stachel in Waigels Fleisch: TauschWatt, der Bremer Tauschring, wird zwei Jahre alt

„Daß einer nichts kann, gibt es nicht.“Ulrich S., gelernter Elektrotechniker, Computercrack, derzeit arbeitslos, formuliert den Grund- und Hauptsatz der Tauschbewegung. Die Idee: Wenn viele Menschen ihre Fertigkeiten in einem großen Hilfsnetz einbringen und bei Bedarf als Dienstleistung austauschen, kann man auf einige Übel in dieser Welt verzichten: auf Geld; auf Zinsen; auf Steuern; und letztlich auch auf Arbeitslosigkeit. Ulrich S. war einer von zehn, die vor zwei Jahren in Bremen TauschWatt, den Bremer Tauschring, gründeten. Am Geburtstag von TauschWatt freut er sich über mittlerweile knapp 500 Mitglieder. An die 100 Tauschringe soll es bundesweit geben; aber die Bremer Tauscher haben mit Abstand am machtvollsten losgelegt.

Bei TauschWatt tauschen geht so: Erstmal tritt man bei (Jahresbeitrag 24 Mark). Dann überlegt man sich, was man kann. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob man Zähne ziehen, Brot backen, Holz hacken oder Babys wickeln kann. Man gibt seine Angebote im TauschWatt-Büro ab und kann dabei gleich in der aktuellen Angebots- und Suchliste nachsehen. Da bieten Leute ihren Kastenwagen für kleinere Umzüge an, allerlei Handwerker können tapezieren, Fliesen legen, und eine Unzahl von Tauschwilligen wollen Rat geben (viele mit einem schweren Schlag ins Esoterische). Und weil jeder irgendwas kann, bietet eine Ulrike im Ostertor sich als „Kummerkasten“an. Und ein Kleverle aus Kattenturm schreibt: Du weißt nicht, was du anbieten könntest? Ich helfe dir, verborgene Talente zu entdecken!

Die Abrechnung funktioniert so: Der Geber erhält vom Nehmer eine Bescheinigung über die aufgebrachte Zeit. Bei TauschWatt heißen 10 Minuten hübsch maritim eine Tide. Wenn Ulrich S. zweieinhalb Stunden lang im Datenmüll eines Verzweifelten gewühlt hat, erhält er 15 Tiden auf einem Scheck quittiert. Den gibt er gelegentlich im TauschWatt-Büro ab. Die Tiden werden seinem Zeit-Konto gutgeschrieben und können wieder abgehoben werden, wenn er jemand braucht, der ihm einmal alle Beete harkt.

Die Idee eines Tauschrings ist nicht nur ökonomisch radikal, sondern auch gerecht: Arbeit wird gleich bewertet. Die Mutti, die einen Pullover strickt, tauscht ihre Stunden 1:1 mit einem EDV-Berater, der an 150 Mark pro Stunde gewöhnt ist. Regelmäßig erhält jedeR TauschWattlerIn einen Kontoauszug. Mehr als 300 Tiden Soll oder Haben – hier heißen sie Ebbe oder Flut – sind verboten. Ackumulation von gutgeschriebener Zeit und also „Neuer Reichtum“sind somit ausgeschlossen. Hat Ulrich S. zu viel beraten, muß er erst mal eine Massage nehmen.

Man ahnt, daß es reichlich Ärger geben kann in solch einem System. Dafür gibt es eine Art Schiedsrichter, die Moderatoren. Die schlichten, wenn einer bei einem Tauschwattler wäscht und dabei die Waschmaschine kaputt geht. Oder wenn es Streit gibt, ob bei einem Transport auch die Anfahrt berechnet wird. Auch schwarze Schafe kommen vor, die nur abzocken. Ein Mann, der hauptsächlich auf Brautschau war, wird demnächst rausgeschmissen. Doch das sind Randerscheinungen in dem boomenden Tauschring, dessen neuestes Such-und-biete-Heft schon fast an eine AbisZ-Ausgabe erinnert.

Argwöhnisch beobachtet wird das ganze vom Finanzminister und den Handwerkskammern. In anderen Städten gab es schon Abmahnungen wg. Schwarzarbeit (darum formulieren die Anbieter in Bremen auch meist: Ich gebe Tips und Rat bei Dachdeckerfragen). Ende 1996 schickte Waigel an die Länderminister eine Note, in der er darauf hinwies, daß keine „Gewinnerzielungs-Absicht“vorliegen dürfe und erst recht nicht Handwerksbetriebe gegen „geldwerte Vorteile“mitmachen dürften. In Bremen, so heißt es aus der Finanzdirektion, „kann man das entspannt sehen – solange das nicht professionell läuft“. BuS

Kontakt: Tel. 706578 (Di. 17-20, Sa. 12-15 Uhr)