Alles Geschichte

■ Heute zum letztenmal: Ein nostalgischer Rückblick auf "Live aus dem Schlachthof"

München (taz) – Auf dem Gelände des Bayerischen Fernsehens in München-Freimann ist die öffentlich-rechtliche Idylle noch perfekt: Der Weg von der Hauptpforte zur Jugendredaktion führt durch eine Parklandschaft. Grüß Gott, hier wäre ein schöner Platz für einen Biergarten, Mahlzeit, was gibt es heute in der Kantine? Vor dem Büro von Wolfgang Mezger, 41, dem Leiter der Jugendredaktion, blättert ein Bürobote versonnen in einem Stapel auszuliefernder Bücher. Hier verstreicht die Zeit langsamer, aber nicht spurlos. Manchmal reißt sie auch hier ihr Maul auf und verschlingt einen Anachronismus, und heute steht auf ihrem Speiseplan ein besonders saftiges Stück: Zum letztenmal kann der nostalgische Zuschauer heute um 20.15 Uhr einen Blick auf die glorreiche Vergangenheit des Jugendmagazins „Live aus dem Schlachthof“ werfen.

Und er wird staunen, wie schon bei den Rückblenden der vergangenen Wochen: Was hatten diese jungen Menschen damals doch für lange Haare! Und was für eine Freude, ihre Meinung kundzutun! 1986 regte sich die CSU noch über vermummte Autonome auf, die in „Live aus dem Alabama“ über ihr Verhältnis zur Gewalt sprachen, einmal rangelten vor der Halle Antifaschisten mit Jung-Nazis, und 1991 eroberten Hafenstraßen- Freunde das Mikrofon. Alles Geschichte. Zu den letzten Schlachthof-Sendungen schalteten sich gerade mal 90.000 Zuschauer ein, und obwohl die grimmegeadelte Qualität von Redaktion und Moderation über die Jahre nicht nachgelassen hat – rechte Stimmung kam nicht mehr auf.

Junge Menschen saßen kaum noch vor dem Fernseher, wenn Sandra Limoncini, Christoph Bauer und Anna Bosch moderierten, der Schlachthof war schleichend zu einer Sendung für Eltern und Omas geworden. „Der Niedergang des Schlachthofes“, analysiert Redakteur Mezger in der Kantine bei Schinkennudeln mit Tomatensoße, „hat mit dem allgemeinen Niedergang der Streit- und Diskussionskultur zu tun.“ Niemand interessiere sich mehr dafür, politisch korrekt im großen Weltschmerz herumzurühren. Die Sehgewohnheiten seien schneller geworden, und die Zielgruppe Jugend könne man heute weder klar definieren noch mit dem Begriff „Jugendsendung“ locken.

Und so bastelte man am Konzept: Mehr Talk? Mehr Musik? Weniger Gäste? Oder mehr? Es half alles nichts. „Im Juli haben wir das erstemal erkannt, daß wir grundsätzlich etwas ändern müssen.“ In der Redaktion machte sich Unmut breit: Das Konzept, unverkennbar ein Kind der achtziger Jahre, wurde zu einem engen Korsett. Das Format versank in der Bedeutungslosigkeit, ging unter in der Flut der modernen Nachmittags-Talkshows. Und während die ehemaligen Moderatoren Amelie Fried, Günther Jauch, Sandra Maischberger, Giovanni di Lorenzo und Sabine Noethen sich schon längst auf den steilen Weg die Karriereleiter hinauf gemacht haben, heißt die Talk-Heldin mit Jugendkompetenz heute Arabella Kiesbauer – und gegen diese Konkurrenz kann und will das Schlachthof-Team nicht ansenden.

Auch die Konzerte, zusammengestellt von Musikredakteur Jürgen Barto, lockten keine Zuschauer mehr. An der Qualität kann es auch hier nicht liegen: „Der Schlachthof war immer ein Traum“, sagt Josef Winkler, Redakteur bei der Musikzeitschrift ME/Sounds, „da hat jeder gespielt“: The Cure, R.E.M., Lenny Kravitz, die Smashing Pumpkins, die Crash Test Dummies und Die Doofen – das zumindest wird sich, wenn auch nicht mehr in Kombination mit dem journalistischen Format, nicht ändern.

Wer glaubt, der gemütliche Stillstand beim Bayerischen Fernsehen hätte die Schlachthof-Redaktion abgestumpft, irrt. Denn Freimanns Abgeschiedenheit hat auch Vorteile: Unbehelligt von den alten Herren der Senderverwaltung konnte sich das Team neben der wöchentlichen Produktion an die Entwicklung eines neuen Konzepts machen. Die Nachfolgesendung „Quer“ startet nächsten Donnerstag. Auf Wiedersehen, Schlachthof! Stefan Kuzmany