Brauner Whiskey und schwarze Russen Von Ralf Sotscheck

Eamonn war schwer beeindruckt. Er war gerade von einer Beerdigung in der Grafschaft Limerick im Westen Irlands zurück. „Der alte Wirt war gestorben“, erzählte er, „und zur Totenfeier gingen wir in seine winzige Kneipe. Und alle tranken Schnaps, selbst die Dorfjugend. Stellt euch den Umsatz vor.“

Davon hatte der Wirt zwar nichts mehr, aber Eamonn bekam trotzdem leuchtende Augen. Er besitzt nämlich auch einen Pub, und zwar im Nord-Dubliner Arbeiterviertel Cabra. Seine Gäste trinken Bier. „Um denselben Profit zu machen“, sagte er, „müßte die Kundschaft Bier trinken, bis sie klinisch tot wäre.“ Nur wenn Hurling-Spiele im Fernsehen übertragen werden, bestellen die Leute Schnaps. Hurling ist eine traditionelle irische Sportart, bei der die Spieler mit einem Holzschläger, den sie wie eine Keule über dem Kopf schwingen, auf einen kleinen Lederball eindreschen. „Es ist das schnellste Mannschaftsspiel der Welt“, sagt Eamonn. „Weil die Fans nichts verpassen wollen, trinken sie Schnaps, damit sie nicht so oft auf die Toilette müssen.“ Anhänger des gälischen Fußballs, der anderen, langsameren Traditionssportart, ziehen dagegen Bier vor und riskieren den Gang aufs Klo.

Vielleicht liegt es aber auch an den Kellnern und Kellnerinnen, daß die Gäste lieber auf Nummer Sicher gehen und die Bestellung möglichst simpel halten. Die meisten Pubs beschäftigen Jugendliche, die für ein mageres Taschengeld den ganzen Abend Getränke an die Tische schleppen. In den meisten Läden geht alles gut, doch Eamonn hat eine abenteuerliche Crew angeheuert.

Neulich bestellte ich einen „Black Bush“. Das ist ein milder Whiskey aus Nordirland. Fünf Minuten später servierte mir Veronica ein Halbliterglas mit einer schwarzbraunen Flüssigkeit, auf der zwei extrem rote Kirschen und ein künstliches giftgrünes Blatt schwammen. Dafür wollte sie umgerechnet 20 Mark haben. Ich brachte vor Verblüffung weder einen Ton noch das Portemonnaie hervor. „Sie hatten doch einen Black Russian bestellt.“ Hatte ich nicht, ich bin doch nicht verrückt: Ein Schwarzrusse besteht aus Wodka, Tia Maria, Cola, Guinness und dekorativem Obst. Ich dagegen wollte nur einen kleinen Whiskey ohne Brimborium. „Na, macht nichts“, meinte Veronica, setzte das Glas an und trank es aus. Die Kirschen und das Blatt spuckte sie ins Glas zurück und gab einen allmächtigen Rülpser von sich.

Die nächste Bestellung nahm Joey entgegen – jedenfalls sah es so aus. Plötzlich ließ er sich aber neben mich auf die Bank plumpsen und stöhnte ganz erbärmlich. Er habe Grippe, sagte er, und die heißen Whiskeys würden auch nicht helfen. Dafür war er nun betrunken. Er begann, unseren Tisch mit einem alten Lappen zu wienern, wobei er sich jeden Quadratzentimeter einzeln vornahm. Nach zehn Minuten hatten wir den saubersten Tisch im ganzen Wirtshaus, wenn nicht sogar in Dublin. Dann begann Joey von vorne.

Als Veronica an uns vorbeischwankte, warf er ihr den nassen Lappen ins Kreuz. Daraufhin entwickelte sich zwischen den beiden ein munteres Handballspiel über die Tische hinweg. Schließlich landete der Lappen in meinem Black Bush, den ich mir inzwischen selbst von der Theke geholt hatte. Nun war ich zu Eamonns Freude reif für einen Black Russian.