Man guckt halt

■ Gestern ist morgen in Nagano und wird heute übertragen. Wie der Bildschirm national wird

Die Rodelfrauen zischten durch die Eisbahn, Tausendstel haben entschieden, Klaus Angermann wurde nicht müde zu betonen, daß die Barbara aus dem bayerischen Berchtesgaden immer gute Tips vom Schorsch aus dem bayerischen Berchtesgaden bekommt. Damit rächte sich der ZDF-Mann, daß ihm durch die tägliche Rotation der Öffentlich- Rechtlichen die übliche Hurra- Kommentierung der historischen dritten Hacklschen Goldmedaille entgangen war. Zurück im Studio, war man sich denn auch nicht zu blöde, noch mal zurück zur Rodelbahn zu schalten, um dort eigentlich nur zu vermelden, daß der „Angermann schon weg ist, sich einen hinter die Binde gießen“.

Diese ebenso überflüssige wie repräsentative Episode illustriert zentrale Tendenzen der Olympia- Übertragungen: 1) Es ist immerhin noch ein wenig, wie es war: Der tägliche Wechsel zwischen ARD und ZDF ist logistisch und finanziell wahrscheinlich völliger Humbug und verschleudert noch zusätzlich unsere TV-Gebühren, die wir eh schon diesem Samaranch in den Hals geworfen haben, aber strukturiert die Großereignisse halbwegs. Irgendwann weiß man zwar nicht mehr, welcher Wochentag ist (gestern ist morgen in Nagano, wird heute übertragen und steht übermorgen in der Zeitung?), aber immerhin, welcher Sender wann dran ist. Das ist doch ein Trost. 2) Die mediale Nationalisierung nach amerikanischem Vorbild schreitet unaufhaltsam voran: Daß nur noch Gewinner interessieren, ist nun nichts weltbewegend Neues. Relativ neu ist, daß nur noch deutsche Gewinner interessieren. Wer US-TV sieht, bekommt den Eindruck, am Rande der Staaten ist die Welt zu Ende. Wer dt. TV sieht, bekommt mindestens den Eindruck, Olympia bestehe nur aus dt. Medaillenhoffnungen, Trainern dt. Medaillenhoffnungen, dt. Medaillengewinnern und Trainern dt. Medaillengewinner. Ab und zu taucht auch ein dt. Verlierer auf, aber der war dann vom Ostblock verbrecherisch bewertet worden oder bekam nicht vom Hacklschorsch höchstpersönlich die Kufen geschliffen.

Vorgestern tauchte doch tatsächlich Björn Dählie zum Studio- Interview auf. Der ist zwar Norweger, aber kann wenigstens ganz ordentlich deutsch sprechen.

Daraus ergibt sich: 3) Die Privaten würden das auch nicht anders machen.

Aber: Man guckt halt. Trotzdem. Auch wenn es einem als Familienvater nahezu unmöglich gemacht wird. Fotoredakteurinnen Schweizer Nationalität können sich ja jede Nacht den Wecker stellen, um dann wegen der alltäglichen Absage der Abfahrt doch nicht zu sehen, wie ihre Landsleute viel zu langsam den Berg hinabrasen. Unsereiner dagegen bringt um 20 Uhr die Kinder zu Bett, nur um festzustellen, daß pünktlich und zeitgleich die Olympiawiederholungen von ARD und ZDF enden. Den Kabelglücklichen bleibt immerhin Eurosport, die anderen kriegen nicht mal eine Tageszusammenfassung. So guckt der vernünftige Haushaltsvorstand nicht live, sondern stellt sich den Wecker früh. Doch es wird schwer werden, den lieben Kleinen nach Nagano wieder klar zu machen, daß es höchst verwerflich ist, schon vor der Schule fernzusehen. Solange allerdings ist es fast romantisch: Während es langsam dämmert, schlürft die Tochter ihre Cornflakes und fragt in den Schmatzpausen, warum die beim Biathlon mit diesem Gewehr auf dem Rücken rumrennen, das haut ihnen doch immer gegen den Kopf.

Dann noch das: Der total tabuisierte Allgemeinplatz „Dabeisein ist alles“ ward bisher nur einmal gehört. Dafür immerhin ist 2) gut. Thomas Winkler