Wer schläft mit wem?

■ Unverfälschte Teenager-Emotionen: „Trop (peu) d'amour“ von Jacques Doillon

Emma ist reines Dynamit. Ein siebzehnjähriger Teenager, der seine Verletzlichkeit wie eine Streitaxt vor sich herträgt. Sie ist aggressiv, verführerisch, verzweifelt und dabei doch klug genug, um zu wissen, was für Qualitäten das sind.

Sie hat einige Manuskripte, darunter auch ein Drehbuch, geschrieben und an einen Regisseur geschickt, den sie sehr verehrt. Paul, Ende 40, ist fasziniert und lädt sie zu sich nach Hause ein, um gemeinsam mit ihr an dem Script zu arbeiten. Zuhause – das ist eine schicke alte Burg, in der Paul mit seiner Frau Margot, 25, und seiner Tochter Camille, 14, lebt. Sie sehen alle toll aus und sind sehr kultiviert: Die ganze Familie spekuliert heiter, ob Emma und Paul zusammen schlafen werden.

Sie scheint sich nicht ganz entscheiden zu können: Erst macht sie Paul Avancen, der sich das gern gefallen läßt, dann erzählt sie Margot davon und macht dieser in gleichem Atemzug eine Liebeserklärung. Sie befreundet sich mit Camille und schläft dann mit deren Freund. Was kann Kultiviertheit ausrichten gegen echte, unverfälschte Teenageremotionen, gepaart mit der brutalen Falschheit einer Schlange?

Elise Perrier (Emma) ist groß und sehr dünn. Sie erinnert ein bißchen an eine Giraffe. Ihre Schultern sind breiter als ihre Hüften. Sie sieht aus wie ein hinreißender Junge, ein echter poète maudit. Sie legt sich in Pauls Bett, lächelt aufmunternd, wird verlegen, schlägt Margot brutal zusammen, und immer wieder schießt ihr die Röte ins Gesicht. Perrier spielt, wie das Schauspieler fast nur noch bei Doillon tun.

Zum Dank ruiniert er sie. Er quetscht sie so sehr aus, daß ihr nicht einmal mehr das kleinste Geheimnis bleibt. Am Ende ist Emma nur noch ein nervtötender Teenager, dem ein paar saftige Ohrfeigen fehlen, damit das Theater endlich aufhört.

Nach einer fast perfekten Stunde hat man plötzlich das Gefühl, daß einem die „echten Emotionen“ dargeboten werden wie Zirkusnummern. Selbst Perriers Erröten wirkt immer mehr wie ein vom Regisseur provoziertes Kunststück. Als Paul (Lambert Wilson) schließlich auch noch ein paar Tränen vergießt, kapiert das Publikum sofort und klatscht: Nachdem wir das auch noch hinter uns gebracht haben, muß der Film endlich zu Ende sein.

Und so war's dann auch. Anja Seeliger

Wettbewerb: heute, 9.30 Uhr, Royal Palast; 18.30 Uhr, Urania; 22.30 Uhr International