Frauen als Opfer und Täterinnen

■ In der FU wurde gestern der Band „Forschungsschwerpunkt Ravensbrück“ vorgestellt

Das Frauen-KZ Ravensbrück war jahrzehntelang ein fast vergessener Ort. In der auf kommunistischen Widerstand fixierten DDR- Geschichtsschreibung wurden nach Auskunft von Ravensbrück- Historikerin Grit Philipp gerade mal zwei wissenschaftliche Arbeiten dazu verfaßt. Die „interdisziplinäre Frauenforschungsgruppe Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück“, seit 1995 an der FU-Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung ansässig, will hier Abhilfe schaffen. Gestern stellte sie ihren neuen Band, „Forschungsschwerpunkt Ravensbrück“, vor. Auf viele Fragen würden hier „vorsichtige Antworten“ formuliert, so die Buchlektorin Susanne zur Nieden.

Die US-Historikerin Sybil Milton berichtet in ihrem Aufsatz „Gender und Holocaust“, daß dort über 3.000 Frauen „als uniformierte Aufseherinnen und Oberaufseherinnen“ im Dienst gewesen seien. Zeitzeuginnen wie die dort inhaftierte Margarete Buber-Neumann und andere hätten diese als „brutale, stämmige oder fette Frauen in kniehohen Lederstiefeln“ geschildert.

In der „Grauzone zwischen Opfer und Täterschaft“, so die Schweizer Politologin Bettina Durrer, bewegten sich „Funktionshäftlinge“ wie die „Blockälteste“ Carmen Maria Mory. Die überzeugte Antikommunistin war 1940 in Paris wegen Spionage für die Deutschen verurteilt worden und erkaufte sich wahrscheinlich ihre Freiheit „mit dem Versprechen, Gegenspionage für Frankreich zu leisten“. Sie wurde von den Deutschen verhaftet, in Ravensbrück eingeliefert und 1944 in einem Block für geistig verwirrte Häftlinge zur Blockältesten ernannt. „Es gab Situationen, in denen sie ihren Handlungsspielraum zugunsten von Mithäftlingen einsetzte“, so die Autorin. Andererseits betätigte sie sich als Gestapo-Spitzel und soll wegen des Platzmangels sogar die Tötung von Stubenmitinsassinnen vorgeschlagen haben.

Die Religionswissenschaftlerin Inse Eschebach hat nach Lektüre der Stasi-Akten zum „Ermittlungskomplex Ravensbrück“ herausgefunden, daß 200 ehemalige KZ-Aufseherinnen von der Stasi beobachtet wurden. Für diese Beobachtungen habe es nur zwei Muster gegeben. Beispiel für Muster eins: „Sie wird als grundsolide, ruhige und ordentliche Frau geschildert. Früh steht sie auf und frühstückt gemeinsam mit ihrem Ehemann.“ Beispiel für Muster zwei: „Ihr Haushalt ist stets unsauber und unansehnlich. Bekannt ist, daß die K. sehr dem Alkohol zuspricht. Gemeinsam mit ihrem Ehemann [...] unterhalten sie Verbindungen zu äußerst undurchsichtigen und asozialen Personen.“ Ute Scheub