Eine Brücke aus Tönen

■ Der serbische Sänger Djordje Balasevic begeisterte Tausende in Sarajevo. Doch die Erinnerungen an das Vorkriegsjugoslawien behagten nicht allen Fans

Sarajevo (taz) – Tränen in den Augen, eine artige Verbeugung und ein rasend klatschendes Publikum: So endete am Sonntag der Auftritt des serbischen Sängers Djordje Balasević in Sarajevo. Noch lange forderten die 7.000 in der ausverkauften Mehrzweckhalle der Skenderija Versammelten Zugaben von dem auch während des Krieges in Sarajevo populär gebliebenen Künstler, der zu den bekanntesten Interpreten des ehemaligen Jugoslawiens gehört.

Nur zweimal gab es Pfiffe während des fünfstündigen Konzerts. Die ersten, als ein Vertreter der UN-Hilfsorganisation UNHCR, die das Konzert gesponsert hatte, einführende Worte sprechen wollte. Und das zweite Mal, als Balasević von Warnungen in der serbischen Presse erzählte, sein Leben sei in Sarajevo in Gefahr. „Ich bin seit Jahren gewohnt, von einigen Verrückten bedroht zu werden“, rief er ins Publikum, „aber in Sarajevo habe ich keine Angst.“

Es war ein Abend der musikalischen Nostalgie aus Rock, Blues und der ungarisch beeinflußten Folklore der Vojvodina. Die poetischen Songs wie „Das Leben ist wie das Meer“, „Guten Abend Sarajevo“, „Die Nacht, als ich über die Donau kam“ wurden von den Tausenden mitgesungen. Witzig und unterhaltsam waren die Zwischentexte des 45jährigen aus Novi Sad stammenden Dichtersängers, der mit einer Milošević-Parodie gerade die vielen aus der Republika Srpska angereisten Fans zum Lachen brachte. Doch der Abend, so sagte er immer wieder, sei den Menschen von Sarajevo gewidmet. „Euch, die ihr das überstanden habt, euch, die ihr gewonnen habt.“ Er schäme sich für jene, die Granaten in die Stadt geschickt haben. „Wir sind schuldig, die wir geschwiegen haben.“ Sein Lied „Vukovar, Hiroshima, Sarajevo“ ließ bei vielen Tränen fließen.

Er wollte sich mit politischen Äußerungen zurückhalten, hatte er schon der Presse bekanntgegeben. Aber natürlich war sein Auftritt, der Auftritt eines der prominentesten serbischen Sänger, ein hochpolitisches Ereignis. Der Serbe Balasević sollte nach dem Willen des UNHCR Sarajevo für die geplante Rückkehr von 20.000 Serben in die Stadt aufschließen. Er sollte eine Atmosphäre der Verständigung schaffen.

Diese Manipulation wurde von dem sensiblen Publikum gleich zu Beginn mit Pfiffen quittiert. „Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht in Multikulturalität!“ Sarajevo und Balasević bräuchten nicht befriedet zu werden. „Wir“, so der Sänger, „wir machen das schon unter uns aus.“ Dazu hätten er und das Publikum die internationalen Vertreter nicht nötig.

Vor allem Jugendliche waren zu den beiden Konzerten am Samstag und am Sonntag aus allen Teilen Bosniens gekommen. Selbst aus der kroatischen Hafenstadt Split waren Fans mit eigenen Transparenten angereist, einige kamen sogar aus Belgrad und Zagreb. Die Berührungsängste zwischen Serben aus Pale oder Banja Luka und den Sarajevoern verflogen schnell. Denn die Musik und die Poesie Balasevićs, seine Liebeslieder, das Lied für sein neugeborenes Kind, konnten alle vereinen. Die Erinnerung an die gemeinsamen Wurzeln aus der Zeit Jugoslawiens riefen jedoch auch bei manchen zwiespältige Gefühle hervor. Das vereinnahmende „Wir“, das der Sängerpoet während des gesamten Abends gebrauchte, wurde vom Publikum zwar hingenommen, im nachhinein jedoch auch kritisiert. „Er tut so, als wäre die Zeit stehengeblieben, als wäre nichts passiert“, sagte zum Beispiel Davorka, eine während des Krieges in Sarajevo gebliebene Serbin. Für Amela, ihre muslimische Freundin, die wie Davorka alle Texte des Sängers auswendig kennt, ist Balasević nach wie vor ein großer Künstler. „Wir können aber nicht mehr dort anfangen, wo wir 1991 aufgehört haben.“ Zu Witzeleien Balasevićs über die Grenzen, die er auf seinem Weg von Novi Sad bis nach Sarajevo passieren mußte, bemerkte ein junger Mann aus Tuzla: „Manchmal bin ich froh, daß wir jetzt diese Grenzen haben. Ich bin jetzt nicht mehr der Willkür eines Milošević ausgesetzt.“

Ist Balasević wie viele oppositionelle und demokratisch denkende Serben ein Jugonostalgiker? Die Antwort der in Sarajevo erscheinenden Zeitungen lautet: Vielleicht. Einig sind sich die Blätter Oslobodjenje und die der muslimischen Nationalpartei SDA nahestehende Dnevni Avaz darin, daß Djordje Balasević er selbst geblieben ist: ein human denkender Sänger, der mit einer hinreißenden Stimme und seiner Poesie die Menschen zu begeistern weiß. Erich Rathfelder