■ Vorschlag
: Im Spiegelkabinett: Elisabeth Zündels Reise über den Acheron

Eine Frau erinnert sich: an den Signor, dessen Liebe sie „umarmte wie alles, was uns vernichtet“, an die Freundin Tenko, an Hoffnungen und verzweifeltes Erkennen. Wie im Traum fließt Vergangenes ineinander: In einer Muschel, die ihr Tenko in Tokyo öffnet, findet die Erinnernde den Duft der Weißdornblüten über ihrer italienischen Liebe wieder oder entdeckt in den Rippen der Schale das faltige Gesicht des Signors. Am Grund fast jeden Bildes taucht eine Ahnung des Todes auf: Die Reise zurück ist zugleich die Fahrt über den Acheron, den Tenko schon überquert hat.

Ein Geiger und eine Tänzerin begleiten die Erzählerin. Sie nehmen wie schattenhafte Scherenschnitte die Plätze der Verlorenen ein und sind für die ständige Transformation der Szene zuständig, die zwischen schwarzen Lavainseln und blütenweißen Bergen, zwischen dunklen Lackdächern und hellen Türmen wechselt.

Nach dem Roman „Acheron“ von Gertrud Leutenegger hat Elisabeth Zündel diese Suche nach dem Selbst im Spiegel der Anderen inszeniert. Doch es gelingt ihr nicht, die Sprache der Schweizer Autorin, die blumige Metaphern wie im Dutzend billiger erworben ausstreut, von ihrer Sentimentalität zu befreien. Da kann der Vilèm Wagner noch so ungerührt Unsinn treiben; mit dem Bogen rühren, kratzen, knarzen, auf dem Kopf spielen, die Geige wie eine Spielzeugente an der Schnur über den Boden schleifen und mit dem Resonanzkörper über die Wände fahrend schaurig hohle Töne hervorbringen, wenn vom nahenden Ende die Rede ist. Umsonst der ganze Aufwand der Verfremdung und Distanzierung von den aufdringlichen Sprachbildern: Die Aufmerksamkeit ist immer da, wo die Erzählerin spricht. Auch die Tänzerin Yuko Kaseki bringt es nur selten zu eigener Präsenz. Oft folgt Zündel ihren Bewegungen oder steuert sie mit der reichen Modulation ihrer Sprache – aber nie ist Kasekis Körper ein eigenes, spannungsvolles Gegengewicht erlaubt. So bleibt, allen beteiligten Künsten zum Trotz, die Textinterpretation eindimensional. Katrin Bettina Müller

Acheron, Sophiensaele, Sophienstr.18, Do. bis So., jeweils 20 Uhr, bis 22. Februar