Berührungsängste mit den Opfern

■ Das Verhältnis der Gewerkschaftsspitzen zu den Erwerbslosen ist schwierig. Dabei sind eine Million Arbeitslose Mitglied

Von Mißtönen zwischen Gewerkschaften und Arbeitsloseninitiativen war gestern kaum etwas zu spüren. Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ursula Engelen-Kefer, sprach auf einer Protestveranstaltung in Hamburg gar von der Hoffnung, aus den Aktionen könne eine neue „soziale Bewegung gegen Arbeitslosigkeit“ erwachsen. Tatsächlich waren die unabhängigen Arbeitsloseninitiativen den DGB-Gewaltigen in der Düsseldorfer Zentrale aber nie ganz geheuer.

Es dauerte auch jetzt wieder Wochen, bevor der DGB-Bundesvorstand sich entschied, den Aufruf der Bielefelder „Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen“ für den Aktionstag zu unterschreiben. Eine Distanz, die nicht von ungefähr kommt. Jahrzehntelang galt im DGB und den Einzelgewerkschaften die Parole: „Unser Kampffeld ist der Betrieb“.

Jeder Arbeitslose war aus dieser Sicht ein verlorener Kämpfer – ein Opfer, kein für seine Interessen eintretender Akteur. Diesen „Opfern“ sollte vor allem durch eine andere Wirtschaftpolitik geholfen werden. Angelika Beier von der Bielefelder Koordinierungsstelle kennt das Argumentationsmuster nur zu gut. „Lange Zeit hat man uns gesagt: ,Wir sind nicht dafür da, dauerhafte Zusammenschlüsse von Arbeitslosen zu fördern, sondern unser Ziel ist die Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Beschäftigungsförderung‘ “.

Die neue Sicht beginnt sich erst seit einigen Jahren durchzusetzen. Viele sähen nun, daß man das eine tun könne, ohne das andere zu lassen, bilanziert Beier. Auch die materielle Absicherung von Arbeitslosen spiele daher gewerkschaftsintern eine größere Rolle. In manchen Einzelgewerkschaften spiegelt sich dieser Wandel auch organisatorisch wider. Eigene Referate für Arbeitslose sind in den Einzelgewerkschaften im Aufbau – aber noch nicht im Dachverband DGB.

Carmen Tietjen vom DGB- Landesverband in Nordrhein- Westfalen glaubt, daß die Interessen der Arbeitslosen größeres Gewicht bekommen, „wenn sie selbst innergewerkschaftlichen Druck aufbauen“. Da ist einiges in Bewegung. Immer mehr halten trotz Jobverlust der Gewerkschaft die Treue. Bundesweit beginnen sie sich in Arbeitskreisen und Ausschüssen ihrer Gewerkschaft zu organisieren. Rund 100 solcher Anlaufstellen gibt es.

Insgesamt sind nach den Erhebungen der Bielefelder Koordinierungsstelle rund eine Million der knapp neun Millionen Gewerkschaftsmitglieder in Deutschland arbeitslos. In manchen IG-Metall- Verwaltungsstellen in Ostdeutschland mache ihr Anteil schon mehr als 30 Prozent aus, sagt Uwe Kantelhardt, einer der Gründer der Bielefelder Koordinierungsstelle. Die Zahlen zeigten, daß die Arbeitslosen eigentlich „schon organisiert“ seien. Nur kollektiv in Erscheinung treten sie selten. Und das will Kantelhardt, der mit drei Kollegen im Bielefelder DGB- Haus sitzt, ändern. Walter Jakobs