Acht Schüsse gegen die Versöhnung

Mitten in Ruandas Hauptstadt Kigali wurde der kroatische Franziskanerpater Curic ermordet. Er war einer der wenigen prominenten ausländischen Kirchenleute, die sich 1994 gegen den Völkermord wandten  ■ Von Dominic Johnson

Acht Schüsse trafen ihn aus nächster Nähe – vermutlich aus seiner eigenen Pistole in seinem eigenen Auto. So starb am Samstag abend in Ruandas Hauptstadt Kigali Pater Vjeko Curic, kroatischer Franziskanerpater, Mitarbeiter der katholischen Hilfsorganisation Caritas und einer der prominentesten ausländischen Kirchenmitarbeiter in dem zentralafrikanischen Land. Er starb mitten in Ruandas Hauptstadt Kigali, nach Caritas- Angaben nur 50 Meter von der ruandischen Caritas- Zentrale entfernt, wohin er gerade aus seiner Heimatdiözese Kabgayi im westruandischen Bezirk Gitarama unterwegs war. „Wir hörten Schüsse, dann kamen Leute und sagten, jemand sei erschossen worden“, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP ein Priester der nahen Kirche der Heiligen Familie in Kigali. „Wir erkannten den blutüberströmten Leichnam von Pater Curic. Seine Pistole befand sich in seinem Auto. Es ist möglich, daß er damit umgebracht wurde.“

Wer die Täter sind, ist nicht bekannt. Aber in Ruanda herrscht Krieg zwischen der Tutsi-dominierten Armee und extremistischen Hutu-Milizen, die den Völkermord von 1994 an Ruandas Tutsi vollenden wollen. Neben Massakern an Tutsi-Zivilisten sind Angriffe auf Ausländer und Kirchenmitarbeiter regelmäßige Höhepunkte dieses Krieges, der im Laufe des letzten Jahres Tausende von Menschenleben gefordert hat. Vor knapp zwei Wochen wurde ein Koordinator der Caritas-Ruanda ermordet, indem man ihm die Zunge abschnitt und den Schädel einschlug – ein Mord, der dem Vorgehen der Milizen entspricht. Kurz davor starben neun katholische Tutsi-Ordensschwestern, darunter fünf aus dem Kongo, bei einem Überfall, für den die Missionszentrale der Franziskaner ebenfalls Hutu-Rebellen verantwortlich macht.

Curic war einer der wenigen Kirchenmänner, die sich während des Völkermordes 1994 für die Opfer einsetzten. „Er selber sah sich nicht so, aber in den Augen der Einheimischen galt er als pro- Tutsi“, sagt Peter Roche von der Caritas-Zentrale in Freiburg. „Es gehen in Ruanda dauernd Listen herum, und da stand er sicher mit drauf.“ Morde politischer Gegner nach vorbereiteten Listen waren der Beginn des ruandischen Genozids im April 1994.

Der 40jährige Curic hatte seit 1981 in Ruanda gearbeitet und war jahrelang Ökonom der Diözese Kabgayi in Gitarama. Unter anderem, weil einige Kirchenleute dort einen guten Ruf hatten, versammelten sich während des Völkermordes bis zu 30.000 Tutsi in den dortigen öffentlichen Gebäuden und suchten Schutz vor den mordenden Soldaten und Milizionären. Die Milizen umstellten diese Fluchtorte und schnitten sie von der Außenwelt ab, um die Menschen auszuhungern. Curic versuchte, sie weiter zu versorgen. „Während der Ereignisse war er einer von zweien, die durch die Front kamen“, sagt Roche. „Viele wären gestorben, wenn er nicht mit Wasser und Nahrung gekommen wäre.“ Ein anderer Mitarbeiter ausländischer Organisationen erinnert sich: „Er brachte an jeder Barriere seine Schäfchen durch. Er hat viele Menschen selber versteckt und sie selber versorgt.“

Schließlich mußte Curic selber fliehen, und kurz vor der Einnahme Kabgayis durch die RPF am 2. Juni 1994 kam es doch noch zu Massakern seitens der Milizen, denen aber nicht alle der nach Kabgayi geflohenen Tutsi zum Opfer fielen. Curic' eigenes Zimmer im Kloster der Diözese wurde von den Milizen zum Hinrichtungsraum umfunktioniert.

Nach Ende des Völkermordes engagierte sich Curic für den Wiederaufbau. „Er ist ein großer Baumeister geworden“, sagt Roche. „Er sagte: Versöhnung fängt damit an, daß Leute sich wiederansiedeln können, daß sie sich nicht um Hütten streiten, sondern sie zusammen neu aufbauen.“ Dadurch entstanden in der Region Gitarama mehrere vom Ausland geförderte Siedlungsprojekte, in denen Hutu und Tutsi zusammenlebten – zum Beispiel Tutsi-Überlebende des Völkermordes neben aus Zaire zurückgekehrten Hutu-Flüchtlingen. Das widersprach der alten ruandischen Tradition isolierter Einzelgehöfte – und wurde von Gegnern der neuen Regierung auch prompt als Versuch gewertet, die Landbevölkerung zwecks besserer Kontrolle in größeren Siedlungen als früher zu sammeln. In Wahrheit kann es als Versuch gelten, Versöhnung durch Annäherung herbeizuführen. Eine solche Politik ist natürlich nicht nach dem Geschmack der Hutu-Milizen, die jetzt erneut in Ruanda aktiv geworden sind – seit Herbst 1997 auch wieder in Gitarama.

Der Mord an Pater Curic hat in dem von Beobachtern konstatierten „zweiten Völkermord“ eine neue Qualität. Zum ersten Mal seit Beginn der neuen Massaker ist mitten in der Hauptstadt ein politisches Attentat verübt worden. Bisher dachte man, die Gewalt sei auf Ruandas Westhälfte beschränkt; erst seitdem zu Weihnachten Anti- Tutsi-Flugblätter in Kigali auftauchten, steigt die Anspannung auch dort – und Curic scheint ein sorgsam gewähltes Ziel zu sein. „Morde sind fast an der Tagesordnung“, meint Caritas-Mitarbeiter Matthias Schüth. „Aber wenn es einen Weißen trifft, ist das ungewöhnlich und verursacht große Nervosität.“