Stumme Wiederwahl der Häuptlinge

Beim SPD-Parteitag in Nordrhein-Westfalen gerieten die grün angehauchten GenossInnen ins Hintertreffen. Rau suchte den Konsens: Hinter dem Ziel, die Bundestagswahl zu gewinnen, müsse anderes zurücktreten  ■ Aus Dortmund Walter Jakobs

Um den Redner am Podium kümmert sich Johannes Rau demonstrativ nicht. Mit einem Getreuen im Gespräch vertieft, den Rücken zum Rednerpult gewandt, läßt er die Rede des Düsseldorfer SPD-Fraktionschefs Klaus Matthiesen scheinbar teilnahmslos über sich ergehen. Während die gut 300 Delegierten im Saal der Dortmunder Westfalenhalle Matthiesen freundlich applaudierend verabschieden, rührt Johannes Rau keine Hand.

Eine Szene, die mehr sagt als tausend Rau-Worte. Mit Klaus Matthiesen, ist der Düsseldorfer Regierungschef fertig. Doch der Beifall zeigt zugleich, daß der sozialdemokratische Fraktionsfundi, der auch am Samstag in Dortmund den grünen Koalitionspartner hart angeht, noch immer starke Kräfte der Partei an seiner Seite weiß.

Am auffälligsten bekommt das die stellvertretende Parteivorsitzende und Kultusministerin Gabriele Behler zu spüren. Die frühere Gymnasiallehrerin gilt vielen in der Partei als zu grün. Üble Pressespekulationen über angeblich von ihr initiierte Intrigen gegen Wolfgang Clement tun ein übriges. Sie wird bei den Vorstandswahlen nachgerade abgestraft. Nur noch knapp 58 Prozent wählen sie, 16 Prozent weniger als beim letzten Mal. Trotz dieses Ergebnisses wird sie an die Seite von Johannes Rau gewählt. Dagegen büßt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der zweite Rau-Stellvertreter, nur ein paar Stimmen ein. Mit rund 83 Prozent festigt er seinen Anspruch auf die Rau-Nachfolge in der Düsseldorfer Staatskanzlei. Doch vorerst thront der Regierungschef weiter über allen und allem. 92,5 Prozent küren ihn erneut zum Parteichef. Nur draußen, bei den demonstrierenden Bergleuten, war die Zustimmung für den Parteipatriarchen weit weniger einhellig.

Als Gewerkschaftssprecher auch Rau für seinen Einsatz zugunsten des Braunkohletagebaus Garzweiler II danken, da gibt es vernehmliche Pfiffe unter den rund 3.000 Demonstranten.

Den Part des kompromißlosen Garzweiler-Verfechters spielt einmal mehr Wolfgang Clement. Ohne jede Konzession an den grünen Koalitionspartner sagt er den Demonstranten die Realisierung des Projekts zu: „Es wird keine Betriebsunterbrechung geben. Kein Bagger wird beim Übergang von Garzweiler I auf Garzweiler II stehenbleiben.“ Daran werde auch die unter der Federführung der grünen Umweltministerin jetzt anstehende wasserrechtliche Überprüfung nichts ändern. Grundsätzlich seien die Wasserprobleme „beherrschbar“.

Eine neuer rot-grüner Streit über diesen Punkt scheint unausweichlich. Die Frage ist nur, ob vor oder nach der Bundestagswahl. Während die Bergleute in Dortmund eine erste Wassergenehmigung „noch in diesem Sommer“ erwarten, versprach Clement lediglich eine „zeitgerechte“ Entscheidung. Die könnte auch nach dem Wahltermin im September fallen.

Glaubt man Oskar Lafontaine, dann scheint die Rechnung der Grünen, das Projekt mittels einer rot-grünen Mehrheit in Bonn auf dem Steuerwege zu erledigen, auch nicht aufzugehen. Eine „Sondersteuer“ auf das besonders klimaschädliche CO2 habe er „nie für akzeptabel“ gehalten, sagte der in Dortmund geradezu euphorisch gefeierte SPD-Parteichef. Diejenigen, die die Braunkohle bekämpften, würden sich zudem „ein bißchen um die Frage herumdrücken“, wie die Grundlast der Stromversorgung sicherzustellen sei, wenn man gleichzeitig aus der Kernenergie aussteigen wolle. Im übrigen empfahl Lafontaine den Koalitionären in Düsseldorf nicht nur immer über dieses eine Thema zu reden, „was bald die ganze Republik nervt“.

In seiner Rede hatte Rau zuvor schon an die Delegierten apelliert, jetzt alle Kräfte auf die Ablösung von Kohl zu konzentrieren: „Hinter diesem Ziel muß alles andere zurücktreten.“