Ferien in Transsilvanien

■ Marta Sebestyen und Daniel Hamar gehören mit ihrer Gruppe Muzsikas zu den führenden Vertretern der ungarischen Tanzhaus-Bewegung, die in den 70er Jahren ein Revival traditioneller Volksmusik einleitete. Ein Gesprä

taz: In welchem Kontext entwickelte sich die Tanzhaus-Bewegung, der Sie angehörten?

Dániel Hamar: Als wir anfingen, traditionelle Musik zu spielen, ahnten wir nicht, daß wir damit automatisch zur Opposition gehörten. Als die ersten Dissidenten auf uns zukamen und uns das sagten, antworteten wir: Redet keinen Unsinn – wir machen nur Musik, keine Politik. Was stört es die kommunistische Partei, wenn wir vor fünfzig Leuten spielen, die tanzen? Aber wir mußten bald feststellen, daß es nicht fünfzig, sondern fünfhundert waren – und wir spielten fast jeden Tag, überall in Ungarn.

Wo konnten Sie überhaupt auftreten?

Hamar: In allen Universitätsstädten. Besonders Studenten waren sehr offen für diese neue Welle. Sie waren begeistert, daß es ungarisch war, so schön und so interessant klang. Wir mußten ihnen erst einmal erklären, was für Musik, was für Instrumente wir spielten und was wir in den Dörfern in Rumänien erlebt hatten. Viele entschieden sich daraufhin, in den Sommerferien nach Transsilvanien zu fahren. Das machte die Autoritäten sehr mißtrauisch – Ceaușescu haßte es, das sich junge Ungarn in seinen Dörfern mit den Leuten anfreundeten. Und auch die ungarischen Autoritäten mochten nicht, was wir da taten.

Warum?

Hamar: Aus zwei Gründen. Erstens konnten sie es nicht kontrollieren. Alles war spontan, das glitt ihnen zu sehr aus den Händen. Zweitens hatten sie Angst, daß aus diesem Nationalgefühl etwas erwächst. Wir hatten ja die gleichen Komplexe wie die Deutschen, wir wurden immer angeklagt: Ihr seid eine schuldige Nation. Wir wuchsen mit diesem Gefühl auf, schuldig zu sein, und irgendwann fanden wir: Nein, wir Ungarn sind nicht schlimmer als andere. Die Spitzel im Publikum haben das natürlich eifrig in ihre Berichte geschrieben.

Waren Sie sicher, daß es Spitzel waren?

Márta Sebestyén: Es war unmöglich, sie mit den anderen Gästen zu verwechseln. Ich weiß nicht warum, aber sie sahen immer gleich aus: Sie hatten runde Käsegesichter und waren ein bißchen dicklich, trugen weiße Wollpullis und eine dunkle Jacke. Sie haben nicht getanzt, sie haben nicht gesungen – nur dagestanden.

Hamar: Die Polizisten waren einfach zu erkennen. Es gab natürlich noch andere, von denen wir es nicht geahnt hätten. Heute gibt es die Möglichkeit, in den Archiven nachzusehen, wer dich überwacht hat. Aber ich will es, ehrlich gesagt, gar nicht wissen.

Hatte die Überwachung irgendwelche Konsequenzen?

Hamar: Wenig. Kleine Schikanen vielleicht – wir durften nicht im Fernsehen auftreten, unsere Pässe wurden für ein Jahr eingezogen. Aber sie haben nie versucht, uns direkt zu schaden. Nur indirekt – Márta konnte jahrelang nicht reisen, und sie weiß nicht warum.

Sebestyén: Schon 1974, als preisgekrönte junge Sängerin, bekam ich keinen roten Paß, um nach Bulgarien zum Folkfestival zu fahren. Ein Jahr später bekam ich ihn dann doch, um in die Sowjetunion zu fahren, zu irgendeiner offiziellen Feier der Besetzung Ungarns. Von da an durfte ich im Ostblock umherreisen. Den blauen Paß, um nach Österreich reisen zu können, bekam ich erst 1979. Beim ersten Halt hinter der Grenze kaufte ich mir einen Kassettenrecorder, und im Auto sangen wir dann (singt:) „Freude schöner Götterfunken“.

Woher rührt Ihr Faible für ungarische Volksmusik?

Sebestyén: Meine Mutter studierte Ethnomusikologie. Sie war vierzig Jahre lang Musiklehrerin und leitete einen Chor – ich wurde also praktisch hineingeboren.

Sehen Sie sich selbst als eine Art Musikethnologin?

Sebestyén: Nein, weil ich die Musik nicht analysiere. Ich glaube zum Beispiel nicht, daß ich diesen Kuchen hier vor mir genieße (stochert in ihrer Torte), weil ich weiß, daß genau zweihundert Gramm Mehl darin sind. Ich mag ihn, weil er einfach phantastisch schmeckt. Ich versuche, die Musik von der emotionalen Seite aus zu fassen.

Aber Sie sammeln doch auch Feldaufnahmen?

Sebestyén: Ja, weil ich die Musik direkt von den Leuten lernen möchte und nicht nach Noten.

Hamar: Wir spielen diese Musik nicht, weil sie wissenschaftlich interessant ist – diese Musik drückt meine Gefühle aus. Es ist einfach Glück, solche Musik so nahe von unserem Wohnort vorzufinden. Ich muß nur fünfhundert Kilometer fahren, nach Rumänien, und schon bin ich in einem transsilvanischen Dorf. Es ist ein Wunder, daß diese uralte Musik, die teilweise bis auf zweitausend Jahre zurückdatiert werden kann, von Menschen gespielt wird, mit denen ich mich unterhalten kann. Daß diese Musik aus unserem Sprachraum stammt, ist nur ein Zufall. Wichtiger ist, daß diese Musik zu mir spricht. Musik ist Kommunikation, und das lernen wir von den Dorfmusikern.

Was unterscheidet Dorfmusiker von Schulmusikern?

Hamar: Musik ist ein gemeinschaftliches Vergnügen. Es ist eigentlich eine absurde Situation, auf einer Bühne zu stehen...

Sebestyén: Manchmal ist es einfacher, in einem Foyer zu spielen, wo die Leute reinkommen und uns umringen, als in einem Saal, wo die Leute sitzen und die Atmosphäre kühler ist. Das dauert seine Zeit, um sie aufzuwärmen.

Hamar: Das Konzertpublikum ist sehr gut erzogen. Du kannst absoluten Blödsinn spielen, es geht nicht weg. Vielleicht schlafen sie ein, oder die Kinder fangen an zu schreien, aber sie werden dich nicht von der Bühne buhen. Wir versuchen, die Atmosphäre zurückzubringen, die wir in den Dörfern erlebt haben. Wenn man rechnet, dann sind zweihundert Leute das Maximum. Aber wir haben natürlich schon vor zweitausend oder zwanzigtausend gespielt, was sehr schwer ist. Wenn man als Musiker da auf die Bühne kommt, und zwanzigtausend Menschen starren dich an, dann denkst du natürlich, du bist sehr wichtig. Du hälst dich für etwas Besonderes. Aber wenn du das wirklich glaubst, bist du kein Musiker, sondern ein Clown.

Zu Beginn haben Sie ja in sehr kleinen Clubs gespielt...

Hamar: Ja, da war es sehr einfach zu spielen. Aber je bekannter wir wurden, desto größer wurden die Säle, und auf einmal standen wir nur noch auf großen Festivals. Da braucht es viel Energie, um die Mauern einzureißen zwischen uns und dem Publikum.

Warum hat osteuropäische Folklore derzeit Konjunktur?

Hamar: Der Osten Europas hat eine ganz andere historische Entwicklung durchgemacht. Die Industrialisierung setzte erst viel später ein, darum sind die Traditionen länger lebendig geblieben. Was wir spielen, ist Teil einer europäischen Volkskultur, die in Deutschland schon vor zweihundert Jahren verschwunden ist.

In Deutschland ist gelebte Volksmusik so gut wie tot...

Hamar: Auch in Ungarn ist sie aus dem Alltag verschwunden. Es gibt vielleicht noch eine Handvoll Dörfer, in denen man traditionelle Musiker findet. Es ist ja ein ganzer Lebensstil, der ausstirbt. Die Musik ist Teil eines Ganzen: Man sieht es an der Art, wie sie ihre Häuser bauen, wie sie ihre Äcker bestellen und was für Kleidung sie tragen. Ob sie ihre Töpferwaren selbst machen oder im Laden kaufen. Wenn sie arm sind, machen sie es halt noch selbst.

Ist das Interesse an dieser Musik nicht Ausdruck von Nostalgie?

Sebestyén: Wenn ich auf meine Kindheit zurückblicke, auf die Zeit, die ich in dem kleinen Dorf meiner Großmutter verbrachte, wo nur dreihundert Leute wohnten – gut, das ist Nostalgie. Aber diese alte Musik – sie ist zeitlos, das hat mit Nostalgie nichts zu tun.

Welchen Stellenwert hat diese Volksmusik in Ungarn?

Hamar: Nicht den gleichen wie im Ausland. In London hatten wir ein Konzert im Barbican. In Budapest dagegen sind wir noch nie dort aufgetreten, wo die Sinfoniker spielen. Wir spüren diese Art von Geringschätzung, wir werden nicht als ernsthafte Musiker angesehen.

Wie hat sich der Systemwechsel auf die Kulturszene ausgewirkt?

Hamar: Die Kulturzentren, in denen wir zu spielen pflegten, bekamen finanzielle Probleme. Das Geld wurde von Jahr zu Jahr weniger, und heute gibt es sie nicht mehr. Alles basiert jetzt auf Business. Die Freiheit kam nach 1990 für die meisten Ungarn so schnell, daß sie erst einmal begannen, Sachen zu kaufen, zu reisen oder sich selbständig zu machen. Die Künste, Film, Theater und Musik, waren nicht mehr so angesagt. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis die Musik für unser Publikum wieder wichtiger wurde.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Wiederentdeckung traditioneller Musik und dem erstarkenden Nationalismus in Osteuropa? Sind das nicht zwei Seiten der gleichen Entwicklung?

Hamar: Nein, ich sehe sogar einen Widerspruch. Es gibt natürlich einen erstarkten Nationalismus...

Sebestyén: Gewissenlose Politiker, die diese Gefühle als Werkzeug nutzen!

Hamar: Aber wenn ich unsere Konzerte in den letzten zwanzig Jahren Revue passieren lasse, denke ich: Die Leute, die ihre eigene Kultur kennen, wissen viel leichter die Kultur anderer Menschen zu schätzen. Diejenigen, die ungarische Musik mögen, erkennen auch den Wert der rumänischen und interessieren sich nicht für die Differenzen zwischen der rumänischen und der ungarischen Tagespolitik. Viele hingegen, die sich für Patrioten halten, können kein einziges Volkslied singen. Ich glaube, um ein guter Europäer, ein wahrer Internationalist zu sein, muß man zunächst ein guter Ungar sein. Und wer ein guter Deutscher ist, wird auch ein guter Europäer sein. Interview: Daniel Bax

Tour: 31.1 Köln, 1.2. Hannover, 2.2. Bremen, 3.2. Berlin, 4.2. Hamburg, 5.2. Mainz, 6.2. München