Schirm & Chiffre
: Warten auf Natalie

■ Leere Versprechungen: Homepage „Easylife“ von Alexei Shulgin

Wie in allen neuen Medien blühen im Internet der Trash und die Pornographie. Letztere ist die Apotheose des Netzes: endloses Herumklicken für nichts. Nicht, daß man wirklich geglaubt hatte, eine der knallbunten Anzeigen auf Altavista etc. würde tatsächlich mit einem Klick zum nächsten „Free Pic“ führen. Aber trotzdem ist es doch verblüffend, wie sich nach der ersten Pornoseite bald immer neue Seiten mit dem immer gleichen Versprechen auftun, ohne auch nur eine einzige Brustwarze zu offenbaren. Warten auf Godot schrumpft da zur lächerlichen Minihölle an Vergeblichkeit.

Nichts scheint also angebrachter, als die Oberfläche des Servers des russischen Netzkünstlers und Bethanien-Stipendiaten Alexei Shulgin anzusteuern, die als Pornosite daherkommt und den hübschen Namen Easylife trägt. Shulgin hat seinen Pornoserver auf den üblichen Suchmaschinen gelinkt und wird so zum Ziel des durchschnittlichen männlichen Netzsurfers – Suck! Fuck! Dick! –, während andere Besucher wegen der hier ebenfalls angebotenen Netzkunst vorbeischauen. Auf http://www .easylife.org herrscht zunächst eine freundliche ASCII-Atmosphäre, die sich auch auf die hier tatsächlich vorhandenen „Free Pics“ erstreckt: Asiatische Mädchen, Close-Ups und Blowjobs gewinnen ungemein durch ASCII-Darstellung mittels Buchstaben und Sonderzeichen und lenken den Blick auf die Inszenierungen und die Perspektiven, die pornographische Bilder bevorzugen. Den Inhalt der Site gibt es parallel aber auch als Vollgrafik, die Shulgins spezielle Auswahl aus dem unendlichen Pornoinfostrom im Netz und den dort verborgenen Begierden der User offenbart: schwangere Frauen, deprimierende Gruppensexszenen mittlerer Angestellter, während blinkende Pornohaikus noch mehr versprechen: „I sucked my teacher's 40 year old pussy.“ Oder kürzer: „Samurai Perversion“. Wer hier klickt, wird nicht enttäuscht, es folgen at random Netzkunstseiten überall im WWW oder Shulgins eigene Internetprojekte, wie etwa „Form Art“.

„Form Art“ durchquert verschiedene Ebenen von der Repräsentation zu diversen Meta- Leveln des Spielens mit kunstbetrieblichen Absurditäten. Die „Forms“ bedienen sich der üblichen Buttons, Fenster und Scrollbars des Netscape Navigators, um daraus spazierengehende Frauen mit Hunden, Windows verschießende Panzer oder den Sonntagsspaziergang einer Familie zu bilden. Als Erfinder dieser neuen Formensprache schrieb Shulgin einen Wettbewerb aus, um die beste Form Art zu prämieren. Als selbsternannte Mikroinstitution entblößt Shulgin die Rituale der Brüder und Schwestern mit den dicken Budgets, die Kunst zum Ornament kuratorieller Größe machen.

Mit seiner Netzbekanntschaft Natalie hat Alexei inzwischen das Projekt der physischen Zusammenführungen einer bis dahin virtuellen Love Story für das Medienkunstfestival ISEA entworfen, das dieses Jahr in England unter dem Motto der „Revolution“ firmiert. Daß hochbezahlte Kuratoren dort über den Umsturz nachdenken lassen, ist für Shulgin vor allem Anlaß, über das Scheitern als existentielle Grundbedingung zu sinnieren. Solchen unfreiwilligen Selbstironisierungen des Systems läßt sich genausoviel Schmunzeln abgewinnen wie der Tatsache, daß er und Natalie mit diesem Projekt die Flugtickets zur Revolution wohl nicht bekommen werden. Ulrich Gutmair