■ Die Deutschen brauchen das monströse Holocaust-Denkmal in Berlin, um sich zu beweisen, daß sie die Vergangenheit bewältigt haben
: Nachruf auf eine Pseudodebatte

Eigentlich habe ich die Hoffnung aufgegeben, daß die deutsche Öffentlichkeit endlich zu sich kommt und die Finger vom unzeitgemäßen, peinlichen und pompösen Unterfangen mit dem Namen „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ läßt. Noch einmal darüber zu schreiben, wäre demnach, einen Nachruf auf den gesunden Menschenverstand zu verfassen. Nun warum auch nicht? Er ist kein Argument im Interessenkampf, dessen Frucht das Holocaust-Denkmal ist. Die Idee wurde zur materiellen Gewalt in dem Moment, da die Öffentlichkeit sich als unfähig erwies, offen darüber zu sprechen, was dieses Denkmal verkörpern und symbolisieren soll. Die Kritik betraf vielmehr entweder die „Absonderung“ der Juden als bevorzugte Opfer von den anderen Opfergruppen oder den Standort und die ästhetischen Qualitäten der vorgeschlagenen Projekte. Nur ein paar Juden, zumal Außenseiter, haben auf die Idee allergisch reagiert. Einer von ihnen sitzt heute allerdings in der Auswahlkommission.

Ich glaube, die ganze Polemik um das Denkmal ist kompensatorischer Natur. Diese Pseudodebatten sind ein kollektives Beruhigungsmittel gegen die latenten Ängste der Gesellschaft vor den Problemen, die auf uns zukommen und die nichts mit den gemütlichen Schuldgefühlen der Vor-Wende- Generation gemeinsam haben und sie zudem relativieren. Die Holocaust-Identität kann keine Antwort auf die neuen Herausforderungen sein. Sie war das Produkt einer einmaligen Entwicklung, die selbst bereits Geschichte ist.

Das Festhalten an der Holocaust-Identität paralysiert den Willen zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die andere Kräfteverhältnisse und andere Opfer produziert. Hilflos stand man dem Genozid auf dem Balkan gegenüber, verlegen und defätistisch ist die Debatte um den Fundamentalismus und die Integrationsprobleme der Ausländer, es fehlt an jeglichem Interesse für das Problem der Nato-Erweiterung. Das Holocaust-Denkmal scheint das einzige Terrain zu sein, auf dem man sich einigermaßen sicher fühlt. Das rettet aber das Projekt kaum vor der historischen Pleite, die in der Idee selbst wurzelt. Denn das Denkmal kommt nicht auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit der Geschichte, sondern schließt symbolisch die in der Bundesrepublik geleistete „Erinnerungsarbeit“ endgültig ab.

Die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden wurden in der Bundesrepublik nicht verdrängt oder relativiert; nicht alle Länder, die ihren Anteil an den Hitlerschen Verbrechen hatten, können das von sich behaupten. Dieser einmalige Prozeß war begleitet von der Institutionalisierung der Erinnerung und des Gedenkens. Das Netz aus Gedenkstätten und Museen leistete eine didaktische Arbeit. Schulklassen besuchten Auschwitz und Dachau. Die Medien brachten Dokumentationen und Spielfilme zum Thema. Es fehlte auch nicht an Abwehr, Ressentiment und Revisionsversuchen; nicht alles wurde gleichermaßen aufgearbeitet. Es blieben Tabus erhalten, an die man nicht gerne rührte, wie die Verbrechen der Wehrmacht zum Beispiel.

Dennoch fällt dies in Anbetracht des Resultats wenig ins Gewicht: Der Konfrontation mit dem Holocaust konnte man buchstäblich nicht mehr entrinnen. Natürlich geht die historische Arbeit weiter; jede Generation sucht die Geschichte aus der Perspektive der veränderten Gegenwart neu zu deuten. Für die Öffentlichkeit aber ist klar, daß die Vergangenheitsbewältigung zur Routine geworden ist, in den Medien wie in den Bildungsstätten. Eine der Folgen dieser Routine ist, daß man viel darüber weiß, aber wenig nachdenkt und noch weniger dabei empfindet. Der emotionale Schock, der in der Entdeckung des Holocaust lag, ist für die jüngere Generation kaum nachvollziehbar. Die Erinnerung mußte ohnehin dem Gedenken weichen, denn sich erinnern können nur Zeugen und Opfer des Geschehens. Ohne gefühlsmäßigen Bezug bleibt aber das Andenken nur ein Ritual.

Es gibt freilich auch andere Gründe für die nachlassende Empfindsamkeit: der Zeitabstand und der Generationswechsel. Unter der Wirkung der Medien ändern sich die Vorstellungen von Grausamkeit, die mediale Wirklichkeit schiebt sich vor die historische Realität. Den an den Anblick von Gewalt gewöhnten Kindern fällt es immer schwerer, das Leiden der Auschwitz-Kinder nachzuempfinden, wohnen sie doch jeden Tag den Massakerszenen in Ruanda oder in Algerien bei und entwickeln dabei ihre Abwehrmechanismen. Immer mehr Ausländer aus anderen Kulturen werden mit der deutschen Geschichte konfrontiert, ohne sich mit ihr identifizieren zu können. In zwanzig Jahren wird sich die Zahl der ausländischen Jugendlichen auf deutschen Schulen vervielfacht haben. Die Vorstellung, ihnen Schuldgefühle für das von den Deutschen begangene Verbrechen einzuimpfen, ist abwegig. Zumal sie aus Kulturkreisen kommen, die ganz andere Vorstellungen vom Judentum vermitteln als jene, die in Deutschland salonfähig sind.

Vor diesem Hintergrund wird das geplante Holocaust-Denkmal quasi zum Schlußstrich der geleisteten Arbeit, zum Denkmal für die einmalige deutsche Leistung in der Aufarbeitung der Geschichte. Es fühlt sich in den Menschen nicht mehr, und das Denkmal soll Ersatz für die fehlenden Gefühle werden. Nie wird es Ort der „Trauer“ und Meditation sein. Die mit Bussen herangeschafften Touristen lassen sich durch die Reiseführer die Symbolik erklären, weil ohne Erklärung das Gelände für die überwältigende Mehrheit normaler Menschen nur ein pompöses Steingelände ist. Nichts werden sie dabei empfinden, nur auf die Uhr gucken, um den Reichstag oder das Adlon nicht zu verpassen, bevor es mit dem Abendessen losgeht. Nachts werden Putzkolonnen Hakenkreuze abwischen, die die Glatzen als Mutprobe auf die Betonstelen schmieren werden. Wütende Artikel über die neue braune Gefahr im Herzen Berlins werden den ums Überleben kämpfenden Journalisten über die Runden helfen.

Das Holocaust-Denkmal ist ein Denkmal für die einmalige deutsche Leistung, die darin besteht, daß das eigene Verbrechen zum Bestandteil der nationalen Identität gemacht wurde. Es ist auch ein Mahnmal für eine immer noch mächtige Lobby, der sich die Trauerarbeiter anschlossen, um an die Gegenwart nicht denken zu müssen. Schade, daß Juden es immer noch nicht satt haben, Anlaß für irgendwelche Profilierungskämpfe zu sein, und anscheinend Gefallen an den deutschen Nachhutgefechten finden. Sonja Margolina