■ Zum Papstbesuch auf Fidel Castros Insel: Fünf Tage, die Kuba verändern werden. Die Frage ist, wie lange die neuen Freiräume halten
: Showdown und Umarmung

Der Papst in Kuba, das sind fünf Tage, die den Medien der Welt ein Spektakel bieten, ein großes Stück aus der Serie „Männer machen Geschichte“: Weltgeschichte zum Miterleben. Wahlweise erscheint dabei das Treffen zwischen Papst Johannes Paul II. und Kubas Revolutionsführer Fidel Castro als Showdown zweier Kontrahenten oder als große Umarmung. Vielleicht ist es ja beides.

Für Fidel Castro dürfte die Einladung vor allem außenpolitischem Kalkül entsprungen sein: ein cleverer Schachzug, um den ausgewiesen antikommunistischen Papst zum prominenten Vorkämpfer gegen die Blockadepolitik Washingtons zu machen. Fidel Castro neben Papst Johannes Paul II., das ist ein ziviler und respektierter Elder Statesman, kein menschenverachtender kommunistischer Diktator, wie ihn die USA als Feindbild brauchen. Alles spricht dafür, daß dieses Kalkül aufgeht. So kleinlaut wie in diesen Tagen hat man in Sachen Kuba die US-Regierung und die exilkubanischen Hardliner selten erlebt.

Doch in Kuba selbst stellt der Papstbesuch ein Politikum anderer Art dar – und für die kommunistische Staatsführung ein durchaus zwiespältiges. Denn wo die Absicherung der politischen Macht entscheidend auf der Besetzung des öffentlichen Raums basiert, hat der Staat in den letzten Tagen wie nie zuvor sein Monopol auf Öffentlichkeit abgeben müssen. Morgen, am fünften und letzten Tag, erreicht die Dramaturgie des Besuchs ihren Höhepunkt, wenn Papst Johannes Paul II. vor Hunderttausenden Kubanern und Kubanerinnen seine große Messe in Havanna liest. Genauer: auf der Plaza de la Revolución in Havanna, dem Zentrum der politischen Macht und dem symbolisch aufgeladensten – andere würden sagen: „heiligsten“ – Ort der kubanischen Revolution. Auf der Plaza de la Revolución verkündete Fidel Castro den sozialistischen Charakter der Revolution und teilte dem Volk den Tod Che Guevaras mit, rief zu heroischen Zuckerrohr- Ernteschlachten auf und schwor dem US-Imperialismus Widerstand bis zum Tod. Die Plaza de la Revolución ist seit 39 Jahren der Platz Fidel Castros. Wenn hier am Sonntag ein anderer als „Botschafter der Wahrheit und der Hoffnung“ – O-Ton Papst Johannes Paul II. – auftritt, ist das in Kuba ein politisches Ereignis mit Zügen eines Kulturschocks.

Dabei werden sowohl Kubas KP als auch die katholische Kirche selbst nicht müde zu beteuern, daß es sich bei dem Papstbesuch nicht um eine politische, sondern um eine kirchlich-pastorale Mission handelt. Aber gerade die religiöse, für vielerlei Interpretationen offene Sprache, in der der Papst seine Sicht von Gesellschaft, Staat und Werten ans Volk bringt, birgt den politischen Sprengstoff. Denn sie entzieht sich dem klassischen Freund-Feind-Schema der kubanischen Politik. Als es in Havanna im Sommer 1994 zu den bislang einzigen offenen Unruhen in Kuba kam, waren die Parolen nur ein plattes „Nieder mit Fidel!“. Wo der Protest in derart frontaler Form daherkam, war seine Unterbindung eine Frage von Stunden. Auch der Umbruch in der DDR hätte nie mit dem Wiedervereinigungs-Slogan „Wir sind ein Volk!“ beginnen können, sondern brauchte zunächst Rosa Luxemburgs Satz von der „Freiheit des Andersdenkenden“.

Die Reden des Papstes bringen nun eine neue Unübersichtlichkeit ins Land. „Wahrheit und Hoffnung.“ – „Kuba soll sich der Welt öffnen.“– „Das Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit.“ – „Die Gesellschaft verändern.“ Alles Papst-Zitate der letzten Tage. Was für Folgen werden sie noch zeitigen? Was, wenn am Sonntag aus der Menschenmenge Parolen skandiert werden, die nicht nur den Papst hochleben lassen, sondern sich politisch verselbständigen? Ab wann würden die Ordnungskräfte einschreiten?

Es ist offenkundig, daß der Papst und Kubas katholische Kirche genausowenig wie die kubanische Führung Interesse an irgendeiner Art von politischen Zwischenfällen haben. Und bislang deutet alles darauf hin, daß auch die Kubaner und Kubanerinnen in dem Besuch von Johannes Paul II. ein Ereignis sehen, das sie feiern wollen, das sie aber mitnichten als Fanal für einen Volksaufstand begreifen.

Die politische Wirkung des Papstbesuches liegt auf einer anderen Ebene. Zum einen hat die katholische Kirche eine beispiellose Aufwertung erfahren. Wurde sie in Kuba noch vor gar nicht allzu langer Zeit als trostloses Relikt einer überwundenen Vergangenheit belächelt (und diskriminiert), wird sie nun mit großem Pathos geradezu zum Kern der kubanischen Identität hochstilisiert, die nun von Fidel bis zu den Rechtsaußen der Exilkubaner den kleinsten gemeinsamen Nenner der Nation verkörpert. Die Führung der kubanischen Kirche hat sich damit in eine enorm starke Position gebracht, in der ihr für den Moment einer Umbruchsituation die einflußreiche Rolle des von allen akzeptierten, scheinbar neutralen Vermittlers zufallen würde.

Die Annäherung Castros an die katholische Kirche ist jedoch keineswegs Ergebnis einer gewachsenen Toleranz des sozialistischen Staates gegenüber den Belangen der Gesellschaft. In vielen Bereichen ist eher das Gegenteil der Fall, seit das Politbüro vor zwei Jahren jegliche Reformdiskussionen abgewürgt hat.

Dennoch wecken die jetzt der katholischen Kirche gewährten Freiräume Ansprüche auf Ausweitung und Übertragung. Denn dies ist die Kehrseite der Umarmungsstrategie Fidel Castros: Wenn Castro selbst alle Kubaner aufruft, zu den Messen des Papstes zu gehen, dann stellt das, was der Papst dort sagt, einen legitimierten öffentlichen Diskurs dar, der in der Folge auch von anderen aufgegriffen und wiederholt werden kann. Johannes Paul II. findet das staatliche Schulmonopol wenig vorteilhaft – warum nicht darüber streiten? Genauso schwer ist zu vermitteln, warum die sturzreaktionäre Haltung des Papstes in der Familienpolitik künftig allerorten nachgebetet werden kann, während eine kritische, breit gefächerte, aber sicherlich sehr viel näher an den Zielen der Revolution orientierte Debatte innerhalb der sozialistischen Institutionen in überaus enge Grenzen verwiesen wird, weil sie die Einheit der Partei untergraben könnte. Es sind diese Widersprüche, über die, wenn Johannes Paul II. längst wieder im Vatikan ist, in Kuba eine zähe Auseinandersetzung stattfinden wird: Ob der Papstbesuch der Beginn für eine breitere Öffnung gesellschaftlicher Freiräume sein kann – oder ob er nur ihr kurzzeitiger Ersatz war. Bert Hoffmann