Aufruhr unter deutschen KatholikInnen: Das erwartete Papstwort zur Schwangerenberatung hat Kirche, Frauen und auch CDU/CSU alarmiert. Gläubige wie Bischöfe sehen sich vor einem offenen Streit mit dem Vatikan. Caritas-Beraterinnen protestier

Aufruhr unter deutschen KatholikInnen: Das erwartete Papstwort zur Schwangerenberatung hat Kirche, Frauen und auch CDU/CSU alarmiert. Gläubige wie Bischöfe sehen sich vor einem offenen Streit mit dem Vatikan. Caritas-Beraterinnen protestieren, in der Union fürchtet man um die Stimmen der konservativen Wählerinnen

Beten statt beraten

Spektakulär sieht er nicht aus. Ein weißer Papierbogen, ein Name, ein Stempel von der Caritas darunter. Die Bescheinigung über eine Schwangerenberatung stellt Stefanie Rademacher nach jedem Gespäch aus, das in ihrem Büro geführt wird. Ob der Schein dann für eine Abtreibung gebraucht wird, erfährt die Mitarbeiterin der katholischen Konfliktberatungsstelle nicht. Sie weiß nur, daß hier eine Frau vor ihr sitzt, die ziemlich aufgelöst ist. Und die sich erst nach dem Gespräch entscheiden wird, ob sie dieses Kind bekommen will oder nicht.

Demnächst wird es diese Situation möglicherweise nicht mehr geben. Kein Gespräch mehr unter Frauen, zumindest nicht in den Beratungsräumen der Caritas. Kommenden Montag haben die Männer das Wort. Die deutschen Bischöfe beraten über einen Brief von Johannes Paul II., der seit Wochen für Spekulationen sorgt. Der Papst mißbilligt, daß die katholischen Beratungsstellen Deutschlands Scheine ausstellen, die Frauen eine straffreie Abtreibung ermöglichen. Ob er den Bischöfen dies kategorisch verbieten wird, ist unklar. Klar ist: Seit die Existenz des Schreibens bekannt wurde, brodelt es gewaltig in den katholischen Beratungsstellen. Unter dem Deckel, versteht sich.

„Wir dürfen mit diesem Konflikt nicht an die Öffentlichkeit gehen“, sagt Stefanie Rademacher. Daß die berufliche Situation der Sozialpädagogin shwierig werden könnte, wenn in der Zeitung steht, wie sie wirklich heißt und wo sie arbeitet, ist kein Einzelfall. „Keinerlei Auskünfte an die Presse“, heißt es bei der Caritas in Berlin. Das gleiche in Potsdam, Leipzig, Augsburg oder Bamberg. Dabei gibt es etliche Beraterinnnen, die sich gern äußern würden.

Eine, die sich nicht einschüchtern läßt, sitzt in Hildesheim. Andrea Franke ist Referentin für 17 katholische Konfliktberatungsstellen und arbeitet seit zehn Jahren in ihrem Job. „Wir setzen darauf, daß sich Frauen durch qualifizierte Beratung für ihr Kind entscheiden“, erklärt sie. „Das bedeutet aber nicht, daß in einer katholischen Beratungsstelle der moralische Holzhammer angewandt wird.“

Frauen, die zur Caritas gehen, kommen nur selten mit der bereits feststehenden Absicht, abzutreiben. Wer tut sich schon freiwillig den Streß unbequemer Fragen an, wenn längst alles klar ist? Hier, weiß Andrea Franke, melden sich eher diejenigen, „bei denen es noch auf der Kippe steht“. Es gehe darum, Frauen im Konflikt zu begleiten, ohne das Ergebnis vorwegzunehmen. „Wenn die Frauen spüren, daß sie bei uns angenommen werden, dann nehmen sie manchmal auch das Kind an.“ Erfolgsbilanzen freilich gibt es nicht. Und daß die Schwangeren letztendlich das tun, was sie für richtig halten, versteht sich auch für die katholischen Beraterinnen von selbst.

Von 1.685 Schwangerenberatungsstellen bundesweit werden 269 von der katholischen Kirche getragen. Der Anstieg katholischer Beratungen ist u.a. durch neue Büros der Caritas und des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF) in Ostdeutschland zu erklären. 1996 ließen sich 114.508 Schwangere durch katholische Einrichtungen beraten. Davon kommen ein Fünftel der Frauen zur gesetzlich vorgeschriebenen Konfliktberatung, 79 Prozent suchen Unterstützung, ohne eine Abtreibung in Erwägung zu ziehen.

Diese Frauen würden auch in Zukunft kommen. Die anderen – unter ihnen ein Viertel Ausländerinnen und 60 Prozent Nicht-Katholikinnen – würden wegbleiben. Auf ihre Entscheidung hätte die Kirche keinen Einfluß mehr. Das gefällt auch einigen Bischöfen nicht. Nicht zuletzt, weil viele Katholiken fordern, Frauen in Krisensituationen nicht allein zu lassen.

Besonders laut tönt der kirchliche Protest aus den Bundesländern mit einem dichten Netz katholischer Beratungsstellen wie Nordrhein-Westfalen, Baden- Württemberg (rund die Hälfte) und Bayern. Hier findet jede vierte Konfliktberatung bei den Katholiken statt. Und in den Büros sitzen in der Regel keine fundamentalistischen Vorbeterinnen, sondern therapeutisch geschulte und persönlich engagierte Fachfrauen. Eine über zwei Jahre gehende Weiterbildung macht der SKF zur Pflicht für alle Beraterinnen, eine Zusatzausbildung „auf hohem Niveau“, wie Stefanie Rademacher findet, die auch außerhalb der Kirche diverse therapeutische Ausbildungen absolvierte.

Für die 41jährige würde „eine große Herausforderung wegfallen“, wenn sie nicht mehr schwangere Frauen im Konflikt beraten könnte. Sie fühlt sich ihrer Aufgabe nicht nur fachlich gewachsen, sondern auch als Katholikin: „Von Haus aus katholisch“, wandte sie sich, wie viele kritische Christen, für eine Zeit von der Kirche ab, aus der sie aber nie austrat, und fühlt sich nun auch „im Religiösen erwachsen“. Das ermögliche ihr, „nicht bewertend“ und nicht moralisch zu agieren.

Nur wenn eine Schwangere völlig unsicher erscheine, bittet Rademacher sie zu einem zweiten Termin und bietet Entscheidungshilfen über ein einmaliges Beratungsgespräch hinaus an. Normalerweise stellt sie den Schein aus und empfindet gerade das als „eine große Erleichterung“ für ihre Arbeit als Beraterin: Die Entscheidung trifft am Ende die Frau. Constanze v. Bullion/

Bettina Markmeyer