„Nach 14 Tagen bist du fällig“

Das Straßenverkehrsgesetz soll geändert werden: Solange Rückstände einer Droge im Blut von Autofahrern nachweisbar sind, gilt dies als Fahren unter Drogeneinfluß  ■ Von Matthias Fink

Im neuen Jahr 1998 wird sich rechtlich in Sachen Rauschmitteln einiges ändern: Die Verschreibung von Methadon wird erleichtert, Produktion und Vertrieb von Designerdrogen verboten, außerdem aber (vgl. taz-Hanfmarkt vom 15.11. 1997) sollen empfindliche Beschränkungen beim Verkauf von Cannabissamen in Kraft treten. Auch „Drogenfahrten“ seien künftig verboten, konnte man in vielen Medien lesen. Daß so was bisher erlaubt gewesen wäre, glaubt wohl niemand.

Autofahren unter Drogeneinfluß ist schon längst strafbar. Dabei muß den Betroffenen allerdings nachgeweisen werden, daß sie tatsächlich den Verkehr gefährdet haben, und die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Auch die – in Süddeutschland besonders beliebte – Variante, den Führerschein wegen charakterlicher Mängel zu entziehen, stößt an gerichtliche Grenzen. Es gebe immer noch eine „Ahndungslücke“, meinte die Bundesregierung und versuchte diese nun zu schließen.

Was hat sich nun geändert? Erst mal nichts, denn die neue Regelung ist noch nicht in Kraft getreten. Der Bundesrat, für so manchen „Reformstau“ getadelt, hat noch Bedenken wegen der neuen 0,5-Promille-Grenze beim Alkohol, die die Abgeordneten mit dem totalen Drogenverbot verknüpft haben. Verabschiedet ist letzteres aber bereits, so daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Vorlage umgesetzt wird.

Die härteste Regelung wurde verabschiedet

Wer unter der Wirkung von berauschenden Mitteln fährt, begeht nach der neuen Regelung eine Ordnungswidrigkeit, die mit Geldbußen bis zu 3.000 Mark verbunden ist. An welchen Mitteln man sich berauschen kann, erfährt man in einer schwarzen Liste, die Teil des neuen Gesetzes ist. Cannabis, Heroin, Kokain und Morphin ließ die Regierung auf die Liste setzen. Amphetamine, normale und designte, fügte der sachverständige Verkehrsausschuß hinzu, und bei Bedarf kann der Verkehrsminister weitere Stoffe dazuschreiben. Am schnellsten wären Aktualisierungen möglich, wenn der Bundesrat gar nicht zustimmen müßte, lockte die Bundesregierung (Bundestags- Drucksache 13/3764, Seite 9), doch das wollte die Länderkammer sich denn doch vorbehalten. Stärker umstritten war bei den Bonnern, was denn genau die Wirkung der Rauschmittel sein soll, mit der man gegen das Straßenverkehrsgesetz verstößt.

Fachleute schlugen Fristenregelungen vor: 72 Stunden nach Drogeneinnahme sollte das Lenkrad tabu sein müssen. Andere versuchten, Grenzwerte für Rauschmittel im Blut einzuführen. Die Bundesregierung bevorzugte lange die Variante, nach der die Gerichte zu bestätigen haben, ob die Rauschmittel bei den Ertappten eine Wirkung gezeigt hätten. Die jetzt verabschiedete Regelung aber ist die allerschärfste. Solange Rückstände einer Droge im Blut nachweisbar sind, steht der getestete Mensch per Gesetz noch unter Drogenwirkung. Ob er tatsächlich irgendwelche Ausfallerscheinungen hat, spielt keine Rolle mehr. „Wenn du dir 14 Tage vorher die Birne zugekifft hast, dann bist du fällig“, prophezeit Roland Wünsch, Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Gila Altmann (Bündnis 90/Die Grünen), die verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist.

„Die neue Regelung läßt den Gesetzessinn völlig entfallen“, kritisiert Michael Karus. Der Mitarbeiter des hanfwissenschaftlichen Nova-Instituts in Hürth war als Sachverständiger vom Bonner Verkehrsausschuß angehört worden. Die Regierung sei ihren eigenen Experten – die Grenzwerte vorgeschlagen hätten – nicht gefolgt. Die neue Regelung treffe die Falschen. „Weit über 90 Prozent der Marihuanaraucher verhalten sich voll verantwortlich und fahren nicht berauscht Auto.“ Die wenigen, die tatsächlich ans Autofahren denken, würden durch die neue Regelung sogar stärker als bisher zum Fahren verleitet, da sie nichts zu verlieren hätten. „Denen ist es egal, ob sie vor drei Wochen oder vor zehn Minuten geraucht haben, sie riskieren ja in jedem Fall, bestraft zu werden.“ Eine ernsthafte Gefahr, so Karus, gehe von Berauschten wohl nur in den ersten zwei bis drei – „andere sagen: drei bis vier“ – Stunden nach dem Joint aus.

Das Entdeckungsrisiko hingegen treffe längst nicht nur die, die tatsächlich „auffällig“ fahren. Schon ein „Legalize it!“-Aufkleber an der Scheibe oder eine Hanfzeitschrift auf dem Rücksitz reichen aus, um rausgewunken zu werden. Eine weitere Besonderheit hat GegnerInnen bei SPD, Grünen und PDS empört: Für Arzneimittel soll es Ausnahmen geben. Die sind aber nicht ohne. „Nach Verkehrssicherheitskriterien müßte man Antihistamine auf die Liste setzen“, meint Roland Wünsch. Da viele der Millionen AllergikerInnen so etwas einnehmen, werde sich das aber wohl nicht durchsetzen lassen. „Eingriffe in die persönliche Freiheit von medikamentös versorgten Patienten“ befürchtete die Bundesregierung. Und von den verbotenen Drogen werde ja nur Morphin medizinisch eingesetzt, wiegelte sie weiter ab. Das wird sich jedoch bald ändern. In diesem Jahr soll die Freigabe cannabishaltiger Medikamente in der Medizin stattfinden. Dann könnte die Ausnahmeregel noch mehr Stoff für die Gerichte bieten. Diese gilt, „wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“. Was heißt etwa „bestimmungsgemäß“?

Auch bei der Umsetzung dürfte es Probleme geben. Bei der Berliner Polizei hält man sich bedeckt hinsichtlich der neuen Kontrollen. „Solange die neue Regel noch nicht im Bundesgesetzblatt steht, sagen wir nichts“, sagt eine Polizeisprecherin. In der Tat sind die neuen Drogenkontrollen mit den noch nicht festgeklopften neuen Regeln für die legale Droge Alkohol zusammen. So sollen moderne Alco-Test-Geräte zugelassen werden, die Blutproben ersetzen sollen. Die Analyse-Institute werden dann mehr Kapazitäten frei haben, um Blut auf andere Drogen zu testen, schätzt Roland Wünsch. Andererseits, so erwartet er, könnte die neue bequeme Alco-Messung, noch dazu verbunden mit der neuen 0,5-Promille-Schwelle, die Enttarnung von Bekifften verhindern, da diese oft auch getrunken haben. Wünsch: „Wieso soll ein Streifenpolizist, der eine ,Disco- Kontrolle‘ macht, sich den Streß machen, die Leute zur Blutuntersuchung zu schicken, wenn schon beim Alco-Test 0,51 Promille nachgewiesen werden?“