Schlußstriche Von Carola Rönneburg

Nun wird betont und begrüßt. Nachdem die Bundesregierung mit der Jewish Claim Conference eine Vereinbarung getroffen hat, nach der Deutschland 200 Millionen Mark in einen Fonds für die Entschädigung jüdischer NS-Verfolgter in den mittel- und osteuropäischen Staaten einzahlen wird, betonte Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, Deutschland werde „seiner historischen Verantwortung auch über 50 Jahre nach Kriegsende gerecht“. Die Betonung liegt auf „auch“, gemeint ist natürlich „sogar“: Obwohl das alles so lange her ist und der Schlußstrich mit „50 Jahre Kriegsende“ gezogen wurde, wollen wir mal nicht so sein.

Nach Agenturberichten begrüßte Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, dieses Verantwortungsbewußtsein. Es sei darum gegangen, „daß die Menschen, die in Osteuropa geblieben sind, wenigstens an ihrem Lebensabend eine kleine Hilfe bekommen“. Und die Grünen in Gestalt ihres Rechtspolitikers Volker Beck monierten zwar den auf 1999 hinausgezögerten Zahlungsbeginn, begrüßten aber „die humanitäre Geste“. Erleichterung allenthalben, es darf begrüßt werden.

Begrüßen wir also en detail: Die Bundesregierung hat die Bedingungen diktiert, unter denen die Opfer des deutschen Faschismus überhaupt als Opfer gelten. Wer weniger als anderthalb Jahre im Ghetto eingeschlossen war oder sich versteckt hielt, hat keinen Anspruch auf Leistungen aus dem Fonds. Auch, wer nicht lange genug in einem Konzentrationslager lebte, erhält keine Entschädigung. In Bonn wurde entschieden, daß eine KZ-Haft unter sechs Monaten unerheblich gewesen sein muß.

Als begrüßenswert gilt ferner das Handgeld, das im nächsten Jahr an zur Zeit 18.000 verbliebene Entschädigungsberechtigte verteilt werden soll. Da die Lebenshaltungskosten in Osteuropa vergleichsweise niedrig seien, gesteht die Bundesregierung ihnen 250 Mark im Monat zu. Insgesamt wären das jährlich 54 Millionen Mark; jeweils vier Millionen mehr also, als Deutschland innerhalb von vier Jahren bezahlen will. Aber diese 250 Mark erhalten wiederum nur ehemalige KZ-Häftlinge und Ghettobewohner, die sich in einer glaubhaften wirtschaftlichen Notlage befinden: Wer die niedrigen Lebenshaltungskosten selbst aufbringen kann, wird seinen Lebensabend ohne eine kleine Hilfe verbringen.

Und wer dazu irgendwann nicht mehr in der Lage ist, wird seinen Antrag umsonst stellen. Die humanitäre Geste endet im Jahr 2002; von Nachverhandlungen war nicht die Rede. Und dann, so lautet die Regelung, hat Deutschland sein Schuldenkonto ausgeglichen. Vier Jahre lang wird gezahlt, und dann wird ein weiterer Schlußstrich gezogen.

Nachtrag: Dem Begrüßungswahnsinn verfallen, verhackstückte die FAZ vom 13. Januar 1998 ein Zitat des Bundestagsvizepräsidenten Martin Hirsch, der sich in der vergangenen Zeit für individuelle Entschädigungszahlungen eingesetzt hatte. Laut FAZ begrüßte Hirsch „die Übereinkunft, daß mit diesem Schritt möglicherweise ,neues Unrecht und neue Ungleichbehandlung‘ verursacht werden könnten“. Das hat Hirsch natürlich nicht gemeint. Aber daß neues Unrecht begrüßenswert sein könnte, lag ja auch gar nicht so fern.