Mädchenhaus? Sie dachten, sie spielen für Beck's

■ Ausnahmeerscheinung Mutlu: Im Tower sammelten vor allem Jungs mit Krautcore und HipHop viel Geld fürs „Mädchenhaus“

Wo der Senat spart, muß für den guten Zweck musiziert werden. So fanden sich am Mittwoch fünf Bands und jede Menge Publikum im Tower ein, um das Bremer „Mädchenhaus“in der Rembertistraße per Benefiz-Konzert zu unterstützen. Skurrilerweise war das Konzert fürs Mädchenhaus überwiegend Männersache: Mit „Mutlu“stand gerademal eine zweiköpfige weibliche Formation neben vier drei- bis fünfköpfigen Jungsbands auf der Bühne.

Der ausgelassenen Stimmung tat das keinen Abbruch, auch wenn einige der Herren Musiker erst kurz vor dem Auftritt erfuhren, warum sie da waren. „Mädchenhaus? Ich dachte, wir spielen für Beck's Bier!“war aus den Reihen der Bonner „Neumann“zu hören, die den Abend eröffneten. Beck's Bier gab es natürlich trotzdem, und es erfreute sich großer Beliebtheit: Von vier angedachten Kästen Bandbier waren drei bereits vor Ende des Soundchecks verputzt. Fraglich jedoch ist, ob allein „Neumann“für den rasenden Alkoholschwund verantwortlich waren, denn sie spielten ihren Pop-Rock recht diszipliniert zwischen Gefühl und Härte, Hauruck und Gesäusel. Stilistisch ähnlich, aber mit kräftigerem Ausdruck kamen „Die Engineers“daher. Der Drummer fand, er und seine Kollegen klängen wie „Oasis“. Ein Versprechen, das gottlob ein leeres blieb. Lieber coverten sie die Knüppel-Popper „Therapy?“, was ihrem Sound eher entsprach. Großes hätten „Die Engineers“vollbracht, wären die meisten ihrer Songs nicht schlicht zu lang gewesen. Trotzdem: Menschen, die dem alten Comic-Messias „Silver Surfer“ein Lied schreiben, können keine schlechten sein.

Nach zwei Rockbands und mit zwei weiteren Rockbands in der Warteschleife mußten die Geschwister „Mutlu“befürchten, mit ihrem Halbplayback-HipHop auf taube Ohren zu stoßen. Also entschied man sich für Angriff als beste Verteidigung: Rapperin Derya ermutigte das Publikum nicht einfach nur zum Partymachen, Armeschwenken, Arschwackeln etc., sie befahl es ihm regelrecht. Derlei Animationsgehabe kann nach hinten losgehen, am Mittwoch aber wirkte es Wunder: Das Publikum stürmte gut gelaunt nach vorne und groovte wie befohlen mit.

Groove ist auch Bremens liebster Krautcore-Band „Verstärker“kein Fremdwort. Neben dem Drummer, der pünktlich zum mitternächtlichen Auftritt Geburtstag hatte, ist dafür einer maßgeblich verantwortlich, der den Tower kennt wie kein zweiter: Bassist Harry gehört der Laden. Dennoch oder gerade deswegen hatte er vor dem Gig mit der Nervosität zu kämpfen, die er aber auf der Bühne hinter souveränem Spiel und dunkler Sonnenbrille verbarg. Textlich entführte das Trio nach Australien und in den Herbst, musikalisch entführte es in Gefilde, für die Worte bislang nicht erfunden sind. Da wurden allein mit dem Daumen am ausgestöpselten Gitarrenstecker in rhythmische Ekstase versetzt oder den Gitarrensaiten mit dem Mikrofonständer ganz neue Seiten abgewonnen. Andreas Neuenkirchen