Deutsche Hysterie

■ Bonn versucht, Europa auf eine restriktive Asylpolitik zu verpflichten

Selbst konservative Blätter wundern sich. Was soll das hysterische Geschrei deutscher Politiker angesichts von 1.200 Kurden, die bislang in Italien angelandet sind und von denen eben auch welche in die Bundesrepublik wollen? Warum der Ärger mit den Kollegen in Italien, Frankreich und Österreich angesichts der paar Leute? Warum endblödet sich die deutsche Politik, aus so nichtigen Anlaß den Buhmann zu spielen?

Teilweise ist dies sicher politischer Instinktlosigkeit geschuldet. Teilweise gehört es auch bereits zum Wahlkampf der dumpfen Art, den sich ja die CSU nie verkneifen kann und vor dem auch die SPD nicht gefeit ist. Der entscheidende Grund aber ist nackte Angst. Die Angst, daß die Früchte einer der am heftigsten umstrittenen Entscheidungen nach 1989, der Demontage des Grundrechts auf Asyl durch den euphemistisch so genannten Asylkompromiß, am Strand Italiens verfaulen könnten. Die Gewährung von Asyl ist seitdem in Deutschland die Ausnahme, Abschiebung die Regel. Mit der sogenannten Drittstaatenregelung tut die Bundesrepublik seit langem, was man Italien jetzt unterstellt: Sie schiebt Flüchtlinge in die Nachbarstaaten ab. Schlimmer aber als Leute, die jetzt illegal von Italien nach Deutschland kommen, sind für die Bundesregierung jene, die bald ganz legal kommen: Kurden, die in Italien völlig zu Recht Asyl bekommen, weil die türkische Armee sie aus ihren Dörfern vertreibt.

Mit der Ausweitung des Schengen-Abkommens war klar, daß die EU sich darüber verständigen muß, wie sie insgesamt mit Flüchtlingen umzugehen gedenkt. Bislang hat die Bundesregierung sich geweigert, in dieser Frage Souveränitätsrechte zugunsten einheitlicher Lösungen aufzugeben. Jetzt will sie durch politischen Druck andere EU-Staaten zwingen, Flüchtlingen gegenüber ähnlich repressiv vorzugehen wie Deutschland. Das wird so einfach nicht gelingen.

Die Debatte um Asyl und Einwanderung, Abschottung oder Offenheit, multikulturelle Verfaßtheit oder Abstammungsgemeinschaft wird es auf europäischer Ebene geben müssen. Wer den Euro will, wer die europäische Integration beschwört, muß bereit sein, über das Selbstverständnis dieses Europa zu reden. Wer glaubt, dies per Anweisung durchsetzen zu können, wird entweder scheitern oder die europäische Idee zugrunde richten. Jürgen Gottschlich Bericht Seite 5