Zwischen Laptop und Pappkühen

■ Die „Natural Theater Company“zeigt „William Tell“im St.Pauli-Theater

Auch ein Gioacchino Rossini kommt mal in die Midlife-Krise. 38 Opern hat er geschrieben, ist zu Weltruhm gelangt und wird von Paparazzi belagert. Des Trubels müde möchte er nur noch eins: als Gourmet ein ruhiges Leben in Paris führen und die Prominenz jener Tage auf seine feudalen Soireén einladen.

Die Natural Theater Company aus England interessierte bei seiner Gastspiel-Inszenierung am Dientsag im St.Pauli-Theater vor allem die Entstehung von Rossinis meistbeachteten Werkes William Tell. Dabei wurde nicht darauf verzichtet, die Welt des Komponisten mit modernem Accessoire auszustatten: Laptop, Anrufbeantworter, Flughafen. Windows '98 ist bereits auf dem Markt und seine Frau möchte Bill Gates eine E-Mail senden.

Rossini lebt unter dem ständigen Druck seiner Mitmenschen, die ihn drängeln, eine weitere Oper zu schreiben. Sein einziger Vertrauter ist der virtuose aber spleenige Geiger Paganini. Ein neuer Lebensinhalt muß her. Und außerdem ist Rossini es leid, lustige Melodien zu komponieren. Die Suche nach Tiefe und ernsthafter Anerkennung wird von seinen Mitmenschen mit ungläubiger Belustigung quittiert, hört man doch im Fahrstuhl schon die Easy-Listening-Versionen seiner Werke. Kurzerhand beschließt der Komponist, in die Schweiz zu fliehen. Da sein Friseur geplaudert hat, steht das am nächsten Tag in der BILD.

Das Stück lebt von der tragikomischen Gestalt eines ausgebeuteten Freigeistes im Spannungsfeld von Liebe, Geld und künstlerischem Schaffen. Die Aufführung schlittert mit ihrem Protagonisten vom bürgerlich-intellektuellen Milieu in Paris in das Schweizer Schuhplattler-Tal „Jodelihuu“. Plattelnde Burschen, kreisende Mädchen, eine schafgroße Papp-Kuh - die Darsteller gaben sich alle Mühe, das Publikum zum volkstümelnden Mob zu degradieren. Herausgefordert vom „Bad Guy“(„Buuuh!“) schießt der kurzsichtige William m Tell einen Pfeil in den überdimensionalen Apfel, der auf den Schultern seines Sohnes ruht. Und damit er sich nun endlich hinsetzt, um sein Opus Magnum William Tell zu schreiben, bedarf es nicht nur einer Laptop-bewaffneten Frau und einige „Money-maker“, sondern auch eines vollmund im Chor singenden Publikums.

Carsten Hansen