Monster unterm Messer

■ Der Hamburger Regisseur Tobias Sandberger und seine Kreaturen. Ein Portrait

Zwielichtige Gestalten werkeln im schwarz-weißen Inneren eines Turmes herum. Unter theatralischen Gebärden vollbringt Dr. Frank N. Stein sein bestialisches Werk: die Mutation einer Stand- zur Turmuhr. Ein Monster ist entstanden.

Der Film Manage von Tobias Sandberger, der vor kurzem im Metropolis gezeigt wurde, spielt mit der surreal-grotesken Slapstick-Komik der Marx Brothers und Charlie Chaplins. Für Sandberger, der an der HfbK visuelle Kommunikation studiert, ist Manage nicht zuletzt auch eine Hommage an den Dadaismus. Und vor allem spiegelt sich hier Sandbergers Verständnis vom Film und seiner Entstehungsgeschichte wider. „Jeder Film ist ein Monster; eine Kreatur Frankensteins, die aus verschiedenen Versatzstücken zusammengeschnippelt wird“. Dies geschieht erst am Schneidetisch und dann in den Köpfen der Zuschauer. Unsere Rezeption von Filmen setzt sich wiederum zusammen aus Filmen, die wir bereits gesehen haben. Und wir sind voll von Filmen.

Die cineastischen Eskapaden der 30er Jahre sind, so der Regisseur, in einer geraden Linie verwandt mit den Versuchen Monty Pythons, die Fernsehwelt der 70er durcheinanderzubringen. Davon inspiriert ist auch der 1992 entstandene Film Trooping the Colour, ein dokumentarisches Experiment, bei dem die Kulturgeschichte Englands wie in einem bunten Kaleidoskop aufgespalten und durcheinandergewürfelt wird.

Sandberger und sein langjähriger Freund Thitz alias Matthias Schemel ziehen in mittelalterlichen Ritter- und Knappenkostümen durch das heutige England. Ein Skateboardfahrer, eine Lanze, englische Kühe, historische Gebäude. Das Sammelsurium von Eindrücken wird immer wieder unterbrochen von lehrfilmartigen Buchstaben-Spielereien auf dem Bildschirm, die die Stationen der Reise historisch dokumentieren.

Tobias Sandberger begann seine Laufbahn mit der Inszenierung von pantomimischem Theater und Stücken des jungen Woody Allen in seiner Heimatstadt Stuttgart. Sein damaliger Begleiter Thitz ist auch heute noch an der Umsetzung seiner Filme beteiligt. Und vielleicht geht es auch deswegen in den Filmen aus der Werkstatt Sandberger/Schemel immer wieder um Freundschaft. So wird in Manage die banale Idylle zwischen dem Angestellten Clownman (Sandberger) und seiner Standuhr (Thitz) durch das Eingreifen des allgegenwärtigen Konzernchefs Frank N. Stein zerstört. Eine surreale Szene, die sich auch in Gotham City hätte ereignen können. Und so wundert es nicht, daß Sandberger seine Storyboards wie Comic-Strips zeichnet. Seine Materialsammlungen haben sich mittlerweile zu einer umfangreichen Kollektion von Geistesblitzen gemausert, aus denen sich unverhofft immer wieder neue Szenen und Arrangements ergeben. Gedreht wird häufig völlig planlos. Erst am Schneidetisch wachsen dann die einzelnen Einstellungen von einem Film wie zum Beispiel Manage zu einem kompletten Ganzen, zu einer Geschichte oder einem abgeschlossenen Experiment zusammen. Bei seiner Arbeit bedient sich Sandberger auch gerne aus dem Fundus des Avantgardefilms. „Was in den 60ern noch Avantgarde war, wird heute x-mal in der Werbung verwendet und ist mittlerweile alltäglich. Deswegen versteht das Publikum das einfach.“Pointierte Schnitte, assoziative Bilderketten, schnelle Wechsel. Ein Spiel aus Andeutungen, Zitaten und Vertrautem, das eine spannende Folie für eine Fülle unterschiedlichster und individueller Interpretationen anbietet.

Größtes Problem bei der Umsetzung neuer Ideen aus dem Hause Sandberger/Schemel ist das Geld. Die mickerige Finanzlage ist auch derzeit die größte Hürde für das in Vorbereitung befindliche Projekt Merriage. Denn was jetzt noch teilweise von der Hochschule finanziert ist, wird in Zukunft, nämlich nach dem Studium, einen Sponsor brauchen. Vielleicht läßt Großkapitalist Frank N. Stein ja etwas springen. Schließlich verpflichtet ihn allein sein Name schon zur Monsterpflege.

Carsten Hansen