Farbeier auf den „Mann des Jahres“

Im Streit um Reform und Mittelkürzungen der staatlichen Wohlfahrt verliert die britische Labour-Regierung von Premier Tony Blair schnell an Glaubwürdigkeit. Interne Streitigkeiten im Kabinett tragen dazu kräftig bei  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Die Szenen, die sich vorgestern vor seiner Haustür abspielten, paßten nicht zum „Mann des Jahres“, zu dem ihn die Zeitschrift Newsweek ernannt hat: Zwölf Rollstuhlfahrer wurden verhaftet, nachdem sie während einer Demonstration vor Tony Blairs Amtssitz in der Londoner Downing Street Farbeier geworfen hatten.

Die Behinderten protestierten gegen die geplanten Kürzungen ihrer Finanzhilfe. Sie sind vor allem erbost über das taktische Versteckspielen der Regierung. Vor einem Monat bezeichnete Blair die Gerüchte über die Kürzungen als „Angstmache“. Als vor zwei Wochen ein Papier des Sozialministeriums bekannt wurde, in dem die Kürzungen bestätigt wurden, taten die Regierungssprecher das als „Arbeitsentwurf“ ab.

Doch irgend jemand sorgte am Wochenende dafür, daß ein Brief des Bildungsministers David Blunkett an Schatzkanzler Gordon Brown in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Darin drückt Blunkett seine „tiefe Besorgnis“ über die Einsparungen aus, die zum Teil dem Bildungsbereich zugute kommen sollen. Dieses „schmutzige Geld“ wolle er nicht, schrieb der Bildungsminister.

Nun geht es um Schadensbegrenzung. Labours „Spin Doctors“, die jeder Nachricht einen regierungsfreundlichen Dreh zu geben versuchen, wollen Behinderte als Schnorrer hinstellen. Ausgewählten Medien wurden ausgewählte Zahlen zugesteckt. Zehn Milliarden Pfund der gesamten Hilfe für Behinderte gingen jedes Jahr an Familien mit überdurchschnittlichem Einkommen, so hieß es. Ein Viertel der Höchstverdiener würde 3,5 Milliarden abkassieren. Das Wohlfahrtsgefüge müsse überprüft werden, sagte Blair gestern, damit die „wirklich Bedürftigen“ die Hilfe bekommen, die ihnen zusteht. Die anderen sollen arbeiten.

„Die Behinderten sollen zu Sündenböcken gemacht werden“, sagte Brian Lamb von der Hilfsorganisation Scope. Dabei sind zwei Drittel der Empfänger von Behindertenhilfe ohnehin im Pensionsalter, und von den übrigen ist ein Großteil zu schwer behindert, um zu arbeiten. Er sei für das Arbeit- statt-Wohlfahrt-Programm der Regierung, sagte Lamb, „aber die Spin Doctors verlagern die Debatte auf eine ganz andere Ebene“. Vorgestern fütterten sie Reporter mit Geschichten über Leute, die Behindertenhilfe bezögen, aber in Wirklichkeit durchaus arbeitsfähig seien.

Dieser Schuß ist nach hinten losgegangen. Die Glaubwürdigkeit der Regierung ist angeschlagen. Politische Beobachter fragten sich gestern, was Labour mit dem Programm eigentlich bezwecke: Will die Regierung einfach Geld sparen, um den von den Tories auf zwei Jahre übernommenen Haushaltsplan einzuhalten, oder steckt hinter „Arbeit statt Wohlfahrt“ ein „moralischer Kreuzzug“?

Blairs Berater suchen unterdessen denjenigen, der Blunketts Brief an die Medien weitergegeben hat. Das Papier deutet auf einen schwelenden Konflikt im Kabinett hin, zumal Blunkett eigentlich zu den „Modernisierern“ gehört, wie sich die Anhänger des rechten Parteiflügels um Blair selbst bezeichnen. „Das war ein feindliches Leck“, sagte ein Minister, „eine Handgranate, die gezielt abgefeuert wurde, um einen Keil zwischen Blair und Blunkett zu treiben.“