... und dann in der Weser baden

■ Die beiden „Screen-Designer“Holger Fabian und Michael Lund bauen Bremen neu auf – virtuell und multimedial

Endlich darf sich der Normalbürger grausame Dinge zuschulden kommen lassen: Feindliche Raumschiffe zerstören, wie Schumi Formel 1- Konkurrenten von der Fahrbahn abdrängen. Alles dank Multimedia und CD-Rom. Warum dann nicht auch stadtplanerisch tätig werden, unverbindlich im virtuellen Raum. Das muß sich der sehr engagierte Herr Beier von der Angestelltenkammer gedacht haben. Er gab „screen designer“Holger Fabian und Michael Lund den Auftrag zur Entwicklung eines Spiels: Erstmals Demokratiespielen konnten vorgestern architekturinteressierte BremerInnen. Demnächst wird die „Wir-bauen-eine-Stadt“-Software auf CD-Rom gepreßt.

Die „Virtuelle Stadtplanung“bezweckt dreierlei. Sie möchte breites Interesse wecken an Architektur, damit wir nicht nur abwinken, nachdem der Klotz steht, sondern uns vorher einmischen. Sie möchte das kreative Potential der kritischen Masse nutzbar machen. Vielleicht hat ja der Bäcker von nebenan bessere Ideen als der Professor im schnuckeligen Schwachhausen. Vor allem aber sollen die da oben die Bedürfnisse von uns da unten zu Kenntnis nehmen. Zum Beispiel die von Ingeborg. Die Software ermöglicht es ihr, auf einem Stadtplan ihre Bedürfnisse zu lokalisieren: Einkaufen will Ingeborg am Weserufer, nähe Fußgängerbrücke (müßten wohl ein paar Backstein-Oldies weggepustet werden.) Rechts neben der Bürgermeister Smidt-Brücke möchte sie in einer Disco abtanzen. Baden in der Weser. Das nennen wir naheliegend. Auf die Eduscho-Lagerhalle hat sie forsch das Prädikat „Abreißen“geklickt haben. Ein allemal horizonterweiterndes Vorhaben.

Und das Programm kann mehr. Unter Aufbietung aller Kenntnisse, die wir uns beim Baukastenspiel angeeignet haben, können wir aus Rechtecken, Quadraten und Kreisen Siedlungs-Formationen zusammenreimen: jedes Klötzchen ein Häuschen. Architektur basteln mit Ecken, Kanten, Erkern, Farbe und Material kann man nicht. Der finanzielle Rahmen der Angestelltenkammer war für entsprechende Technik zu schmal. Vor allem aber kann man sich informieren: über die baulich brisanten Punkte Bremens (Weserbahnhof, Spaceparkareal, Pier 2-Areal, Schlachte u.a.), über deren Ist-Zustand und den Soll-Zustand. Zeitungstexte dokumentieren die behördlichen Streitereien im Hintergrund. Gründe für das Projekt gibt es genug. Wie keine andere Kunstgattung wird die zeitgenössische Architektur von Volkes Stimme abgelehnt. Zu steril und menschenfeindlich, lautet der brummige Tenor. Aber die Architekten ziehen munter weiter Langeweile in die Höhe. Ein gründlicher Diskurs des bauherrlichen Treibens findet nicht statt in den relevanten Tageszeitungen. Anderswo sowieso nicht. Kulturredakteure meiden die Berührung mit technisch verzwickten und bürokratisch verhedderten Sachgebieten. (Hier spricht die eigene Erfahrung.) Das Lästige daran: Architektur kann man nicht einfach abhängen oder abschalten. Man muß dran vorbei, täglich, es sei denn, man fährt U-Bahn. Wo es Gründe gibt, gibt es auch Gegengründe. Wenn an den Interessen der Menschen und der Schönheit vorbeigeplant wird, liegt es nicht zwingend daran, daß Volkes Wünsche unbekannt wären. Bürokratischer Filz und schnödes Geld zwängen sich zwischen Kunst und Wirklichkeit. Außerdem haben Länge und Umfang einer Debatte wenig zu tun mit der Qualität des Ergebnisses (siehe Teerhof). Die Bürgerentscheid-Problematik ist bekannt (siehe gecanzeltes Buchheim-Museum).

Und trotzdem muß ein neues Medium ausgelotet werden, ehe man urteilt. In den Babyschuhen steckend wankt natürlich alles noch ganz niedlich. Im Moment ist die Lust beim Herklicken wildgemusterter, laufender Bildchen, der Überraschungsspaß beim Drücken von Knöpfchen oft größer als der tatsächliche Informationsgewinn. Der multimediale Großaufmarsch in der Info-Box des Potsdamer Platzes veranschaulicht eine Gefahr der digitalen Authentizität: Was in fetziger 3-D-Darstellung wunderschön aussieht, kann in steinharter Realität abstoßend sein. Die neue Vorstellbarkeit ist ein Mythos. Um diese Illusion der Animation wissen auch Fabian und Lund. Deshalb haben sie es sich verkniffen, ihre Architekturmodelle verführerisch aufzustylen.

B. Kern