Jede Mark für Alkohol

■ Henry T. wurde von seinem Kumpel erpreßt / Nur ein Wortgeplänkel, sagen die Obdachlosen

Henry T. lebt seit einigen Jahren in Bremen vom Betteln. Auch am Nachmittag des 27. Juli 1996 saß der Obdachlose vor einem Kaufhaus in der Obernstraße, vor sich ein Körbchen fürs Geld, daneben eine Bierdose. Doch an diesem Tag wurde er von dem Polizeibeamten Michael J. und seinen Kollegen observiert. Zu seinem eigenen Schutz. Denn der 33jährige Henry T. war von seinem Kumpel Robbie H. und dessen Freundin Michaela P. am Morgen bedroht worden: „Wenn Du uns heute kein Geld gibst, findest Du Dich im Krankenhaus wieder.“Sie verlangten 30 Mark.

„Es ist für Sie dumm gelaufen“, sagte gestern der Richter am Amtsgericht zu Robbie H., „ein Polizeibeamter stand daneben.“Morgens war der Polizist Michael J. einkaufen gegangen. Zufällig, als er vor dem Schaufenster des Kaufhauses stand, hörte er das Gespräch zwischen Robbie H. und Henry T.. Deshalb konnte er am Nachmittag observieren. Robbie H. tauchte mit seiner Freundin auf. Die beiden Männer gingen um die Ecke, wo Robbie H. mit Fäusten auf Henry T. einschlug. Die Polizisten schritten ein, verhafteten und verhörten. Nun saß Robbie H. wegen versuchter räuberischer Erpressung vor dem Amtsgericht.

Über ein Jahr später sieht alles anders aus. „Robbie hatte Anspruch auf die 30 Mark“, sagt das Opfer Henry T. heute: alte Schulden. Überhaupt kann er sich schwer erinnern, damals habe er viel getrunken. Falls Robbie H. ihm wirklich drohte, sei das jetzt nicht so wichtig. „Unter Alkohol sagt man schnell: Ich hau Dich tot. Ist aber nicht ernst.“So sei das im Milieu.

Eigentlich ging es um Eifersucht, meinten dagegen der Angeklagte Robbie H. und seine Freundin Micheala P. übereinstimmend. An der damals 17jährigen waren beide Männer interessiert, Michaela P. hatte sich aber in Robbie H. verliebt. Der verschmähte Henry T. fing deshalb an, schlecht über Michaela P. zu reden. „Für zwei Bier geht die mit jedem um die Ecke und solche Sachen“, sagt Robbie H.. Deshalb prügelte er sich mit Henry T. auf dem Domshof. „Da sagte Henry: Schlag mich nicht. Ich gebe dir 30 Mark“, erzählt Robbie H.. Die wollte er am 27. Juli freundlich, ohne Gewalt eintreiben.

Der Richter schaute irritiert. Im Polizeiprotokoll – aufgenommen einen Tag nach dem Vorfall – sprach zumindest Michaela P. noch von erpreßtem Geld. Und Henry T. schilderte, er habe mehrmals an das Pärchen zahlen müssen. „Ich hatte den Eindruck, daß Henry T. vor den beiden große Angst hatte“, sagt Polizeibeamter Michael J. noch heute. Das Opfer sei auch nicht zu betrunken für eine Vernehmung gewesen.

Auch auf Nachfrage des Richters wollte Henry T. seine Aussage, die vom Protokoll abwich, nicht ändern. Mit den Worten: „Wenn Sie damit in Zukunft leben können“, entließ ihn der Richter. Er verurteilte Robbie T. wegen versuchter räuberischer Erpressung zu vier Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 600 Mark. Denn es sei unwahrscheinlich, daß Henry T. freiwillig Geld rausgibt. „Ein Alkoholiker braucht jede müde Mark für Alkohol“. susa