Das größte legale Dopingmittel

■ Umweltforscher von Weizsäcker (SPD) und Loske (Grüne) wollen in den Bundestag

Nein, von einer Flucht aus Nordrhein-Westfalen will Ernst Ulrich von Weizsäcker nichts wissen. An dieser Version, das sucht der Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie gleich zu Anfang des Gesprächs klarzumachen, sei „nichts, aber auch gar nichts dran“.

Vor allem die polemischen Attacken des Düsseldorfer Wirtschaftsministers Wolfgang Clement (SPD) gegen das Wuppertaler Institut hatten den Fluchtverdacht in den vergangenen Wochen genährt. Denn nur wenige Tage nachdem Clement eine Studie des Instituts zu dem umstrittenen Braunkohletagebauprojekt Garzweiler II als „politisches Pamphlet“ denunziert hatte, kam die Meldung aus Stuttgart, daß von Weizsäcker dort nun für den Bundestag als SPD-Direktkandidat antrete.

Tatsächlich war diese, von der Stuttgarter SPD-Basis bei nur einer Gegenstimme abgesegnete Kandidatur lange zuvor eingefädelt worden. Jetzt steht nur noch die Absicherung auf der Landesliste aus. Doch eine Niederlage muß der Prominente aus dem Norden, der seit 1966 der SPD angehört und vier Jahre im badenwürttembergischen Landesvorstand der Partei saß, wohl nicht fürchten. Für die von Selbstzweifeln zernagte baden- württembergischen Sozialdemokraten kommt der Reimport ins Ländle geradezu wie gerufen. Einer der Stuttgarter Sozis sprach beim Wahlparteitag gar von dem „größten legalen Dopingmittel“, das sich die SPD in der Landeshauptstadt mit der Berufung des 58jährigen Neffen von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker verschafft habe.

Ein Coup, der vor allem dem grünen Konkurrenten Rezzo Schlauch gegen den Strich geht. Schlauchs Traum, in dem Wahlkreis das erste Direktmandat für seine Partei holen zu können, dürfte sich nun wohl kaum noch erfüllen.

Von Weizsäcker hofft, daß der grüne Ärger bald vergeht. Letztendlich gehe es ja um die Ablösung von Kohl durch eine reformorientierte Regierung – und die will er durch die Revitalisierung der baden-württembergischen SPD auch persönlich befördern. Angesichts der „vielen positiven Reaktionen“ auf seine Kandidatur glaubt er gar, „einen kleinen Beitrag gegen die Politikverdrossenheit in Deutschland“ leisten zu können.

Ähnliche Hoffnungen hegt Reinhard Loske. Den 38jährigen Volkswirt, der seit fünfeinhallb Jahren am Wuppertaler Institut arbeitet und dort die Studiengruppe „Zukunftsfähiges Deutschland“ koordiniert, zieht es ebenfalls wieder in die Politik. Loske will über die nordrhein-westfälische Landesliste der Bündnisgrünen nach Bonn.

Nach siebenjähriger wissenschaftlicher Arbeit möchte er nicht länger nur Ratschläge über den notwendigen ökologischen Umbau der Gesellschaft erteilen, sondern ihn „reizt jetzt, die Dinge direkt umzusetzen“. Als ehemaliger grüner Kommunalpolitiker (1984 bis 1989), Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion und Beisitzer im Landesvorstand kennt er das politische Geschäft nur allzugut. Daß er trotzdem zurück will, können gerade viele seiner ForscherkollegInnen „nicht nachvollziehen“.

Für Loske zeigt diese Reaktion seiner KollegInnen einmal mehr die „weitverbreitete Geringschätzung der Politik“ an. Gegen diese „gefährliche Grundstimmung, die sich in den letzten Jahren in vielen gesellschaftlichen Bereichen festgesetzt hat“, und die er auch „bei jeder Familienfeier spürt“, will er sich stemmen.

Auch weite Teile der politischen Linken wähnt er auf einem „verhängnisvollen“ Kurs: „Während die Linke in den siebziger Jahren von einer unheimlichen Machbarkeitseuphorie geprägt war, ist sie jetzt in weiten Teilen ins andere Extrem verfallen.“ Überall sei von „politischer Ohnmacht“ die Rede, „gerade so, als könne man gar nichts mehr machen“. Den Ärger darüber teilen Loske und von Weizsäcker gleichermaßen.

Der Bündnisgrüne ist nach wie vor davon überzeugt, daß ein Wechsel in Bonn „große Chancen“ böte, an „einigen zentralen Stellschrauben“ in die richtige Richtung zu drehen. Zum Beispiel beim Steuersystem. Für ihn „ein zentraler Punkt“, um den notwendigen ökologischen wie sozialen Umbau der Gesellschaft voranzubringen. Ein Projekt, für das der Sozialdemokrat von Weizsäcker ebenfalls nun schon seit Jahren nicht minder engagiert streitet. Ließe man das rot-grüne Duo aus Wuppertal gewähren, stünde nach einer gewonnenen Wahl auf diesem Feld wohl ein wirkliches Reformprojekt ins Haus.

Doch geht das nach all den Enttäuschungen in den rot-grünen Länderregierungen auch mit der realexistierenden SPD? Mit Clement und Schröder? „Ja“, lautet die Antwort des Sozialdemokraten, denn wenn man „sorgfältig analysiere“, was beide zum Thema gesagt hätten, merke man schnell, daß der Unterschied zu seinen Vorstellungen „fast unmerklich“ sei. Walter Jakobs