Dieses merkwürdige Glas Wasser

■ Runter von den Schaukelpferdchen: Lange All-Nizo-Super-8-Filmnacht im Metropolis

Ein Typ sitzt im Park unter einem Baum, zündet sich eine Zigarette an und schaut gedankenverloren in die Gegend. Plötzlich kommt ein Paar Schuhe angeschlendert und bietet sich zum Anziehen dar. Kaum sitzen die Schuhe an den Füßen, machen sich die Dinger erneut selbständig und transportieren unseren Helden fließbandartig über die Sandwege. Schnitt. Nächster Film. Diesmal eine Dokumentation über Hippies in den USA der 60er Jahre. Hare- Krishna-Jünger auf den Straßen New Yorks. Ein Schwenk mit der Kamera, und ein (echter) Polizist ruckelt ins Bild, der ebenfalls bemüht ist, möglichst viel vom Geschehen mit seiner Kamera einzufangen. Nächster Film. Psychedelische Schwarz-weiß-Impressionen von Lanzarote. Hotelneubauten, Badewannen und immer wieder dieses merkwürdige Glas Wasser auf einem Felsen. Warum gerade ein Glas Wasser? Es ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, daß es so ist.

Als vor über 30 Jahren die ersten Super-8-Filme auf den Markt kamen und Papas neues Auto fürs Familienarchiv auf den schmalen Zelluloidstreifen gebannt wurde, wußten wohl nur wenige um die transzendierenden Eigenschaften dieser Art bewegter Bilder. Einige, die damals auf dem Schaukelpferdchen gefilmt wurden, haben dies nun erkannt und beschlossen, die Welt mit unscharfen, verwackelten, fleckig-farbigen Trash-Bildern zu beglücken. So lautet der Aufruf des ANRRP e.V. (All Nizo Restricted Revolution Pictures) denn auch: „Väter und Mütter: Gebt eure Kameras in junge Hände!“. Was dabei rauskommt, zeigt der gemeinnützige Verein auf seinen regelmäßig stattfindenden independent street-film screenings.

Auf den regelmäßig stattfindenden Happenings kann jeder seine individuellen Psychosen oder Begierden einem breiten Publikum offerieren. Und da nicht einmal die Veranstalter alle gezeigten Filme vorher gesehen haben, kann es auch schon mal passieren, daß die eine oder andere Ferkelei über die Leinwand flimmert. „Hauptsache, sie laufen“, meint Veranstalter Lutz Kayser. Zensurfreiheit ist Voraussetzung, wenn das Publikum Einblick in fremde Intimität genießen soll.

Die Vorteile dieses Filmformats liegen auf der Hand: Das Equipment ist billig, die Kameraführung leicht und das Schneiden völlig unkompliziert. Obwohl auch Regisseure teilweise noch filmische Experimente auf der Schmalspur umsetzen, haftet ihm immer noch das Amateur-Image an. Dabei wurden schon wirklich wichtige Ereignisse mit Super 8 dokumentiert, so zum Beispiel die berüchtigte Haider-Demo im Mai 1994 auf dem Gänsemarkt.

Auf dem kommenden Screening im Metropolis wird von experimentellen Trickfilmen mit animierten Gegenständen über wissenschaftliche Dokumentarfilme über die menschliche Wahrnehmung bis hin zu wackelig in Szene gesetzten Familiendramen das gesamte Reservoir individueller Inspiration zu sehen sein. Am Sonnabend um 19 Uhr können noch Filme mit einer Länge bis zu sieben Minuten im Foyer des Metropolis abgegeben werden. Zensurfreiheit garantiert.

Carsten Hansen

Sa, 20. Dezember, 20 Uhr,

Metropolis