Analyse
: Streit um Rot-Grün

■ Nervöse Sozis in NRW: Johannes Rau drohte mit seinem Rücktritt

In den Reihen der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten tobt ein erbitterter Kampf um die Fortsetzung der rotgrünen Koalition. Während Ministerpräsident Johannes Rau und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bemüht sind, Brücken zu den Grünen zu bauen, um einen einvernehmlichen Umgang mit dem umstrittenen Braunkohletagebauprojekt Garzweiler II zu ermöglichen, nutzt SPD-Fraktionschef Klaus Matthiesen jede Möglichkeit, um die rot-grüne Koalition auseinanderzusprengen.

Jüngster Konflikt: ein Streit um zwei Millionen Mark, die das Kabinett ohne Wissen von Matthiesen einstimmig der bündnisgrünen Umweltministerin Bärbel Höhn im Haushalt 1998 für weitere Wassergutachten bewilligte. Sofort ging Matthiesen in die Offensive. Stinksauer über die eigenen Leute, forderte er im SPD-Fraktionsvorstand Anfang der Woche, die geplante Zusatzausgabe mit einem Sperrvermerk zu belegen. Ein offener Affront gegen das Kabinett – und vor allem vollends unakzeptabel für die Grünen.

Wäre Matthiesen mit seinem Kurs durchgekommen, das war allen Spitzensozis klar, hätte er das Ende der rot-grünen Koalition endgültig heraufbeschworen. Doch die SPD- Abgeordneten folgten ihrem wütenden Chef nicht.

Selbst dessen engste Getreue gaben klein bei, nachdem die Führungsetage der SPD den Abgeordneten in Dutzenden von Gesprächen die Folgen des Chaos-Kurses ihres Vorturners klargemacht hatte. Rau selbst nahm seine Leute noch unmittelbar vor Beginn der Fraktionssitzung am Dienstag in die Mangel. Dabei drohte der Regierungschef ziemlich offen mit seinem Rücktritt.

Wirtschaftsminister Clement dementierte die Rücktrittsdrohung Raus zwar später als „baren Unsinn“, doch der wörtliche Mitschnitt der Rau-Äußerungen spricht eine eindeutige Sprache. Veröffentlicht hat die Passage das WDR- Fernsehen. Wie üblich war ein Fernsehteam vor Beginn der Fraktionssitzung im Saal. Normalerweise gilt dabei die Regel: Kamera an, Ton aus. Doch in diesem Fall lief auch die Tonaufzeichnung. Deshalb ist wörtlich überliefert, was Rau, auf dem Weg zu seinem Platz, einigen Abgeordneten, die den von ihm ausdrücklich bestätigten Regierungsbeschluß kippen wollten, sagte: „Wenn diese Regierung kein Vertrauen hat, geht sie.“ Als daraufhin ein Abgeordneter einwandt: „Nein, das ist, glaube ich, nicht der Punkt“ und als ein weitere Rau zurief: „Es geht nur um die zwei Millionen!“, sagte der Regierungschef wörtlich dies: „Also, wenn die gesperrt werden, bin ich nicht mehr da.“

Damit war Matthiesens Coup gescheitert. Doch daß Rau bei diesem Streit schon mit dem Äußersten drohen mußte, um die Sozi-Garde auf Linie zu halten, illustriert die hypernervöse Lage in Düsseldorf angesichts der Spitzengespräche über GarzweilerII. Eine Entscheidung naht – möglicherweise schon in wenigen Tagen.

Im Düsseldorfer Landtag führte der Streit gestern noch zu einem Eklat. Nachdem Oppositionschef Helmut Linssen (CDU) zu Beginn der Landtagssitzung eine Debatte über die Rau-Äußerungen beantragt hatte, verließen Rote und Grüne den Plenarsaal.

Nur so konnten die SPD und die Grünen angesichts ihrer arg gelichteten Reihen eine Abstimmungsniederlage verhindern. Es war ein seltener Triumph für die CDU. Und ein peinlicher Auftritt für die rot-grüne Koalition, der Johannes Rau selbst aber erspart blieb. Ihn fesselte eine Erkältung ans Bett. Walter Jakobs