Kichernde Kometinnen

■ Der schwache Trost des Eisbechers und andere Abschweifungen: Giorgio Manganellis Erzählungen aus dem Nachlaß führen in eine heidnische Hölle, ohne den Humor zu verlieren

Im Deutschen sind Kometen, rein grammatikalisch gesehen, männlich. Im Italienischen heißt es „la cometa“: eine Dame, ganz klar. Bei Giorgio Manganelli gibt es Kometen und Kometinnen. Sie sind, so hat der Autor nach gewissenhafter Betrachtung des himmlischen Schauspiels herausgefunden, „glühender Leidenschaften fähig, doch den bescheidenen häuslichen Pflichten abgeneigt; eine Kometenheirat wurde jedenfalls nirgends in den peinlich genauen Protokollen des Himmels registriert; eine ruhige, gelangweilte Kometenfamilie – Vater, Mutter und junge Brut – beim Sonntagsspaziergang mit dem schwachen Trost eines Eisbechers hat niemand gesichtet“.

Einen tieferen Einblick in die Lebensart der Kometin von Klasse – die niemals, niemals ohne ihren Coiffeur verreist, denn wer sollte sonst ihren Schweif in angemessene Wellen legen – hat die Literatur dieses Jahrhunderts wohl kaum zu bieten. Zu finden ist die Geschichte in dem Band „Kometinnen und andere Abschweifungen“: zehn Erzählungen aus den Jahren 1979 bis 1986, herausgebracht vom Wagenbach Verlag, der auch sieben Jahre nach dem Tod des italienischen Dichters die kleine Manganelli-Fan-Fraktion in Deutschland mit neuen, sorgfältig übersetzten Texten versorgt.

Eigensinnig, widerborstig, ein Einzelgänger. Ohne diese Vokabeln kommt der gängige Manganelli-Kommentar nicht aus und nicht ohne die Formel „einer der wichtigsten der italienischen Avantgarde“. Manganelli für Philologen, das ist ein Roman, der vorgibt, Kommentar zu sein zu einem Buch, das nicht existiert. Manganelli in Heiter, das sind „100 Romane in Pillenform“, absurde Miniaturen, in denen Mörder vorkommen, die niemanden ermordet haben, und Drachentöter, die fürs Drachentöten verachtet werden. Und Manganelli in Düster, das ist Sumpf, das ist das langsame Kreisen um die Leerstelle, das Nichts.

Auch die Erzählungen aus dem Nachlaß schweifen schnell von den leuchtenden Kometinnen zu dunkleren Welten – und der Alltag, das Eisessen und der Sonntagsspaziergang sind plötzlich unerreichbar fern. Ein Ich erwacht und ist ein Leben, das nicht zum Licht kommt, dann eine Statue, ein weiteres Mal längst tot oder nur der Traum eines Tieres. Ein Ich lebt in einem phantastischen Tal, dessen oberstes Prinzip die „Ungenauigkeit“ ist, und beschreibt die bizarren Regeln einer Welt, in der jedes Ding vorgibt, ein anderes zu sein, und Zeit und Ort keine Konstanten, sondern eigenwillige Variablen sind. Ein Ich imaginiert sich als Gestirn, als Planet, als Mond, philosophiert über geometrische und halluzinatorische Gemütszustände und gibt sich selbst die Form, die ihm gefällt.

Diese Erzählungen Manganellis, verwickelt und rätselhaft, haben keinen Plot, sondern Hypothesen, und die gewagteste Hypothese ist jeweils die Existenz des erzählenden Subjekts. Manganellis Bezugspunkt ist nicht irgendeine Realität, sondern die Sprache. Aus ihr bastelt er mit Hilfe vertrackter logischer Operationen seine Welten zusammen: phantastisch wie bei Borges, doch viel näher an der Hölle. Einer heidnischen Hölle wohlgemerkt, in der weder Gott noch Teufel vorkommen.

Was jedoch vorkommt auf Manganellis Planeten, sind Gespenster. Sie sind Schatten, Nichtigkeiten, die gern die Form von Liebenden annehmen; oder weniger noch, sie sind nur Liebesabsichten. Wer sollte eine schönere Definition von Geistern geben können? Durch solche Schlupflöcher kehrt das Lächeln sanft wieder ein in Manganellis Weltwüste. Manchmal, im Sommer, wenn alle schlafen, kann man die Kometinnen übrigens kichern hören. „Ihr Sinn für Humor ist extravagant und subtil: über manche ihrer Mären muß man erst nach hundert oder hundertzwanzig Jahren lachen.“ Elke Buhr

Giorgio Manganelli: „Kometinnen und andere Abschweifungen“. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Wagenbach Verlag, Berlin 1997, 154 Seiten, 32DM