Hauptziel: Kampf gegen die Migration

■ Ab heute debattiert Frankreichs Parlament das neue Ausländergesetz. Die Linken in der Regierungskoalition sind verärgert

Paris (taz) – Hunderttausende demonstrierten in Frankreich für die Abschaffung der nach zwei ehemaligen Innenministern benannten Pasqua- und Debré-Gesetze. Das war Anfang des Jahres. „Erste, zweite, dritte Generation – wir sind alle Immigranten“ skandierten sie, als sie im Februar in Paris zu Justizpalast und Polizeipräsidium auf der Île de la Cité zogen, wo unerwünschte Ausländer heute ihre letzten Stunden vor der Abschiebung verbringen. In der Menschenmenge waren die Anhänger von Grünen, Kommunisten und Sozialisten unübersehbar.

Die drei Parteien sind inzwischen an die Regierung gekommen. Eine überraschende Parlamentsauflösung und ein Wahlkampf im Mai, in dem sie unter anderem ein „grundsätzlich neues Gesetz für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in Frankreich“ versprachen, hat das möglich gemacht. Jetzt liegt das Gesetz vor. Es trägt den Namen des neuen Innenministers Jean- Pierre Chevènement und wird von heute an in der Nationalversammlung behandelt.

Die Auseinandersetzung über das „loi Chevènement“ läßt sich tumultartig an. In der zu erwartenden Gemengelage wird der Regierungsentwurf sowohl von rechter als auch von linker Seite kritisiert werden. Letzteres möglicherweise sogar schärfer. Von den beiden konservativen Parteien RPR und UDF sind bislang schon 1.300 Veränderungsvorschläge eingegangen. Die sechs grünen Abgeordneten (eine Ministerin) wollen alle dagegen stimmen. In der 36köpfigen kommunistischen Fraktion (drei Minister) will die Mehrheit dagegen stimmen. Und selbst aus den Reihen der Sozialisten haben moralische Schwergewichte wie der früherere Justizminister Robert Badinter ihre Stimmenthaltung angekündigt. Der einzige Abgeordnete der rechtsextremen Front National, der Bürgermeister von Toulon, Jean-Marie le Chevalier, ist selbstverständlich ebenfalls gegen den Entwurf.

Der Grund für den Aufruhr der Linken ist die Halbherzigkeit des Gesetzes. Statt die Vorlagen seiner beiden Vorgänger Pasqua und Debré abzuschaffen, wie Anfang des Jahres gefordert und im Wahlkampf versprochen, will Chevènement das Gesetz lediglich reformieren, zum 25. Mal. Einreise und Aufenthalt von Ausländern stehen weiterhin dem Ermessen von Bürgermeistern und Präfekten anheim. Die Ablehnung von Visa- Bescheiden muß auch in Zukunft nicht begründet werden. Eine Aufenthaltsberechtigung im Zuge von Familienzusammenführung muß jedes Jahr erneut verlängert werden. Und die Abschiebehaft soll sogar noch verlängert werden. Eine Verbesserung für die Betroffenen stellt lediglich die Einführung des „territorialen Asyls“ dar. Diese befristete Aufenhaltsberechtigung ist vor allem für die vielen algerischen Flüchtlinge gedacht, die nicht von der Regierung, sondern von oppositionellen Gruppen verfolgt werden.

Das Hauptziel des Chevènement-Gesetzes ist die Bekämpfung der Immigration, sein wesentliches Prinzip das Mißtrauen gegen Einwanderer. Genau diese repressive, schikanierende und kriminalisierende Logik der Ausländergesetzgebung hatte die „moralische Linke“ – zu der zu Jahresanfang auch noch ein großer Teil der Sozialisten gehörte – sowie zahlreiche Künstler, Intellektuelle und Menschenrechtsorganisationen angeprangert. Dorothea Hahn