Alltäglichkeit hoch drei

Was haben Madonna, Kate Moss, Prinz Charles und Niklas Luhmann gemeinsam? Thom Barth im Württembergischen Kunstverein Stuttgart  ■ Von Martin Pesch

Die Welt ist nicht viel mehr, als was in Form bedruckten Papiers, übermittelter Daten und Bilder in Büros und Wohnzimmer flattert, flimmert und sich konfiguriert. Neu ist das nicht. Nichtsdestotrotz macht Thom Barth diesen Gemeinplatz zur zentralen Angelegenheit seiner Ausstellung. Nicht, weil ihm nichts Besseres einfällt, sondern weil dieser Sachverhalt ein bedrängendes Problem ist.

Bedrängt fühlt man sich auch, wenn man den renovierten Saal des Württembergischen Kunstvereins betritt, in dem Barth seine Arbeit „Das große Ding, die Arbeit und der Schrank“ zeigt. Von der Decke hängt ein Würfel, acht Meter Kantenlänge, und reicht herunter bis auf die Höhe von sechs Schreibtischen. Es scheint, als läge das „große Ding“ auf ihnen.

Die Flächen des Würfels sind aus transparenter Folie, auf die Gesichter alter Bekannter kopiert sind: Mutter Teresa, Salman Rushdie, Madonna, Prinz Charles, Niklas Luhmann, Kate Moss und viele weitere namhafte und namenlose Menschen, bekannt aus TV und Werbung. So wahllos ihre Zusammenstellung erscheint, so gleichmäßig sind sie auf der Würfeloberfläche angeordnet. Unterschiede lassen sich nicht mehr ausmachen: Als hätte Barth einen beliebigen Augenblick der Medienpräsenz herausgegriffen und die in ihm gesendeten Gesichter zusammengestellt.

Der Würfel ist zudem teilweise bedeckt mit Rechtecken, die Linien verbinden. Das sind Fragmente sogenannter Organigramme, Darstellungen hierarchischer Strukturen. Barth löst dieses Ordnungsmittel aus seinem Zusammenhang und kopiert es über die Gesichter. So suggeriert er eine Verbindung, aber auch eine bestimmte Ordnung unter ihnen, als könnte der Medienstrom mittels eines Systems bewältigt werden.

Das also ist das „große Ding“ – eine transparente Oberfläche ohne Inhalt. Blickt man auf ein Gesicht, schaut man auch durch es durch auf jenes auf der gegenüberliegenden Seite. Dadurch bekommt die feststehende Anordnung doch eine gewisse Dynamik, die allerdings von den Blicken der BetrachterInnen abhängig ist: Man kann Einfluß nehmen, man kann selektieren, man kann die Augen schließen. Darüber hinaus ähnelt dieser Würfel einem anderen, dem schwarzen Kubus in Mekka, der zentralen Reliquie der muslimischen Religionen.

Vollkommen profan der Würfel allerdings bei Barth, banal sogar, alltäglich hoch drei. Eine, vom Eingang aus gesehen, hintere Ecke des „großen Dings“ grenzt an den „Schrank“ – ein betretbarer kleiner Raum. Resopal, Teppichboden, Ikea-Billy und ein Sofa verbreiten heimelige Atmosphäre. Dort kann man es sich gemütlich machen, so gut es eben geht. Immerhin hilft dabei der ständig laufende Fernseher.

Im Gegensatz zur privaten Idylle im „Schrank“ herrscht diagonal gegenüber eine geradezu hektische Büroatmosphäre. An mehreren Schreibtischen, gut ausgestattet mit Schreibmaschinen, Ablagen und Kopierern, arbeiten junge Leute, StudentInnen von Thom Barth. Fragt man sie nach ihrer Tätigkeit, sind sie nicht sehr aufgeschlossen. Als integraler Bestandteil der Ausstellung haben sie keine Auskünfte zu geben. Anscheinend arbeiten sie an eigenen Projekten. Immerhin war den KulturarbeiterInnen zu entlocken, daß sich das „große Ding“, obwohl es nicht verändert werden soll, in den Raum, auf den Boden, über die Wände ausbreiten kann. Man sollte also regelmäßig vorbeischauen, um zu beobachten, wie sich die „Arbeit“ an dem „großen Ding“ zu schaffen macht.

Der hohle Würfel mit der fragilen Außenhaut, Symbol eines wichtig scheinenden, aber inhaltsleeren Raumes, ist Produkt dieser „Arbeit“ und verkörpert gleichzeitig den Rohstoff, mit dem der Medienbetrieb befeuert wird. Nicht umsonst benutzt Barth die Technik der Fotokopie, um eine weitere Brechung zwischen dem tatsächlichen Geschehen und seinem Medienbild zu betonen. Ein Aspekt, auf den der 1957 geborene Künstler sicherlich auch anspielt, ist die Hipness sogenannter Medienarbeit. Die frühere Besonderheit, „beim Fernsehen“ zu sein, ist zur recht normalen Angelegenheit geworden. Auf der anderen Seite ist diese Tätigkeit mit dem Signum der Zeitgenossenschaft verbunden, sie ist „in“. Und wer nicht mindestens die Sekretärin beim Privatsender als Freundin des Bruders vom Cousin kennt, ist ziemlich „out“. Deswegen fällt bei Barths Installation gleich die „Arbeit“ ins Auge, und der private Konsum der gesendeten Bilder ist in den „Schrank“ verbannt. Zwischen ihnen aber befindet sich, riesig und alles beherrschend, das, um was es eigentlich geht: ein großes Nichts aus Bildern und Zeichen.

Bis 14.12., Württembergischer Kunstverein, Stuttgart