Selbst die Integration ist umstritten

■ „Migration – Stadt im Wandel“. Internationaler Kongreß in Berlin beendet. Welchen Platz finden MigrantInnen in Ballungszentren?

Berlin (taz) – Hans Stimmann hatte es nicht leicht. Kaum hatte der für Stadtentwicklung zuständige Staatssekretär in Berlin die Einbürgerung von 60.000 MigrantInnen seit der Wende als Erfolg bezeichnet, fiel ihm Franz Wittek von der Brüsseler EU-Kommission ins Wort. Für deutsche Verhältnisse, so Wittek süffisant, möge dieser Anstieg der Einbügerungszahlen beeindruckend sein. Im europäischen Vergleich hingegen bilde Deutschland das Schlußlicht.

Belehrende Hinweise waren freilich die Ausnahme beim europäischen Kongreß „Migration – Stadt im Wandel“, der gestern in Berlin zu Ende ging. Im Mittelpunkt stand der Austausch zwischen Stadtplanern, Migrationsforschern und lokalen Initiativen im europäischen Rahmen. Daß die deutschen Teilnehmer von ihren Kollegen aus Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden eine Menge lernen konnten, zeigte nicht zuletzt die Diskussion um Begriffsdefinitionen. Während in Deutschland noch immer der ausgrenzende Terminus des Ausländers vorherrschend sei, wie Safter Cinar vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg beklagte, spreche man in Frankreich von Migranten oder in Großbritannien von ethnischen Minderheiten. Die Einbürgerung dürfe nicht länger ein „Zertifikat für die erbrachte Integrationsleistung“ der Einwanderer sein, sondern müsse, wie in Großbritannien oder den Niederlanden, am Anfang stehen, um die Integration zu fördern.

Unter den etwa 200 Experten und Akteuren war allerdings selbst der Terminus „Integration“ umstritten. Valerie Amos, Britin afrokaribischer Herkunft, betonte, daß Integration in der britischen Diskussion mit Assimilation gleichgesetzt und deshalb abgelehnt werde. Für die ethnischen Minderheiten Großbritanniens sei deshalb der Begriff der Identität entscheidend, die es zu bewahren gelte. Das Plädoyer des Oldenburger Soziologen Walter Siebel für eine positive Bewertung der zunehmenden – freiwilligen – Segregation in den europäischen Städten blieb jedoch nicht unwidersprochen. Anders als Siebel, der in ethnisch homogenen Vierteln für ImmigrantInnen bessere Lebensbedingungen ausmacht, berichtete die Pariser Soziologin Sonia Faymann über das weitgehend konfliktfreie Zusammenleben von Maghrebinern, Afrikanern, Juden und indigenen Franzosen in Belleville im 20.Pariser Arrondissement.

Nicht immer sei Segregation freiwillig, warnte der Londoner Geograf Alisdair Rogers. So sei zum Beispiel die vergleichsweise hohe Zahl von Bangladeschern in der Londoner City vorwiegend der Tatsache geschuldet, daß viele Bangladescher in der Gastronomie beschäftigt sind. Da viele von ihnen überdies mehrere Jobs ausübten oder nachts arbeiteten, seien sie auf die räumliche Nähe zu ihren Arbeitsplätzen rund um das Finanzzentrum angewiesen. Rogers Schlußfolgerung lautet deshalb, daß der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs für ethnische Minderheiten genauso wichtig sei wie der Zugang etwa zum Wohnungsmarkt.

Traditionelle Stadtplanung rennt den zunehmenden Spaltungen und Brüchen im städtischen Gefüge hinterher – diese Einsicht war einer der Gründe, den Kongreß „Migration – Stadt im Wandel“ zu organisieren. Ob und wie die Planer vor Ort auf die Anstöße reagieren werden, bleibt abzuwarten. Wie groß der Lernbedarf vor allem in Berlin ist, hat einmal mehr der zuständige Staatssekretär Hans Stimmann unter Beweis gestellt. Er habe zwar schon viel über Stadtentwicklung gelesen, verblüffte Stimmann das Auditorium zu Beginn des Kongresses, aber mit Migration habe er sich jetzt erst beschäftigt. Uwe Rada