Sonderrecht im Osten

■ Bundestag will verlängerte Verjährungsfrist für DDR-Kriminalität

Der Bundestag hat gestern die Verjährung für „mittelschwere“ DDR-Regierungs- und Vereinigungskriminalität um zwei weitere Jahre verlängert. Damit soll wohl der in Ostdeutschland noch labile Glaube an den Rechtsstaat gefördert und gefestigt werden. Die Gerechtigkeit soll ihren Lauf nehmen können – vorerst unabhängig von lästigen Verjährungsfristen.

Damit kommt man wohl zwei Gruppen im Osten entgegen. Den ehemaligen BürgerrechtlerInnen wird signalisiert, daß die strafrechtliche Aufarbeitung etwa von Rechtsbeugung und Gefangenenmißhandlung unvermindert fortschreitet. Und dem Rest der Ostbevölkerung demonstriert man Härte gegen kriminelle Vereinigungsgewinnler, Absahner und Betrüger.

Nun ist es jedoch etwas kurios, gegen Verjährungsregeln einzuwenden, sie führten dazu, daß Straftaten „ungesühnt“ bleiben. Natürlich, denn genau das ist ihr Zweck. Auch ein Straftäter soll nach bestimmter Zeit wieder ruhig schlafen können, und die Strafverfolger sollen ihre knappe Kapazität aktuelleren Straftaten zuwenden – bei denen die Beweismittel greifbarer sind. Es ist nicht ersichtlich, warum in Ostdeutschland etwas anderes gelten soll als im Rest der Republik. Im Bereich der Systemkriminalität begannen die Verjährungsfristen ohnehin erst mit der Wende. Für schwere Straftaten wie Totschlag endet sie auch noch lange nicht. Mord verjährt sogar nie. Und in fast allen Fällen, in denen die Beschuldigten bekannt sind, wurde die Verjährung bereits durch Verhöre und andere Ermittlungen unterbrochen. In diesen Fällen ist es gleichgültig, ob ein Gericht sein Urteil noch in diesem Jahr oder erst im übernächsten spricht. Die Verlängerung der Verjährung ist in diesem Bereich also vor allem symbolisch gemeint. Das macht das Gesetz freilich nicht besser. Denn man kann den Rechtsstaatsgedanken nie durch rechtsstaatswidrige Regeln fördern.

Auch die Vereinigungskriminalität erfordert keine Sonderregelung Ost. Wenn man glaubt, daß die Staatsanwaltschaften bei komplizierten Wirtschaftsverfahren mehr Zeit benötigen, dann hätte die Verjährung (wie von der SPD gefordert) für ganz Deutschland geändert werden müssen. Das gestrige Gesetz ist dagegen ein falsches Signal. Es zeigt, wie weit wir von Normalität im deutsch-deutschen Verhältnis noch entfernt sind. Christian Rath

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