Damit sie irgendwo hinkönnen

■ Die deutsche Fernsehserie als Ladenkette: Wo die Tante-Emma-Wirtschaft überlebt hat

Wenn es regnet, dann wünsche ich mir oft, ich hätte ein Geschäft überm Kopf. Wie Olaf Kling zum Beispiel. Der läuft zwar immer rum wie der grausige Fund in der Zeitungsmeldung, aber dafür hat er einen Blumenladen in der Lindenstraße. Inge Busch hatte auch mal einen Blumenladen. Im Marienhof. Heute hat sie lieber eine Boutique. Ausbildungen für so was müssen nur die doofen Leute außerhalb realistischer Soaps machen.

Frau Buschs Exnachbar Sülo Ötzkentür (klischeebeladenster Name wo gibt!) hatte mal einen Dönerladen. Aber dann hatte er lieber ein „Deutsche Hausmannskost“-Restaurant. Sülos Frau hatte einen CD-Laden, der zwar nie lief, aber gut aussah. Den hat jetzt die lesbische Andrea. Bei der läuft er aber auch nicht. Und Nachbarin Ortrud hat ein Café, in dem niemand seine Limo bezahlt, weil man Nachbarn grundsätzlioch kein Geld abnimmt.

Überhaupt haben quasi alle Bewohner deutscher Endlosserien ihre eigenen Geschäfte, daß es nur so staubt. Das muß so sein, damit sie irgendwo hinkönnen, wenn es regnet. In Olaf Klings Blumenladen eben. Oder in Elses Waschsalon. Oder in eins der 864 anderen Geschäfte, die sich in der Lindenstraße breitgemacht haben. Man stelle sich das vor: Von rund 35 handlungstragenden Personen haben da 16 ihr eigenes Geschäft. Und damit die anderen 19 nicht auf der Straße oder im Regen stehen, dürfen sie alle in diesen Geschäften mitarbeiten. Oder Gyros essen. Oder Blumen für die soundsovielte Serienhochzeit kaufen. Oder Tickets zu den Antillen. Oder was man sonst so kauft, wenn man in der „Lindenstraße“ wohnt und nicht weiß, daß bei Aldi und Kaufhof alles viel billiger ist.

Früher, als Endlosserien noch realitätsfremd und amerikanisch waren, da gab's nur Ewing-Oil und das Channing-Weingut auf Falcon Crest, und alle, alle bis zur letzten Nebenrolle haben dort gearbeitet, wie weiland die Wolfsburger bei VW. Höchstens Sue-Ellen durfte mal fünf Folgen lang Dessous verkaufen, damit man sah, wie emanzipiert sie war, bevor sie wieder soff.

Aber in deutschen Serien ist das ja Gott sei Dank anders. Hart an der Realität hat da sonntags um 18.40 Uhr jeder Ex-Privatdetektiv einen Hobbykeller, wo er häßliche Modelle bauen darf, und jeder Rollstuhlfahrer hat seine Arztpraxis, wo sich bei Regen alle unterstellen. Bei mir zu Hause ist das anders. Da eröffnen immer nur unnütze „Kopierparadiese“ und „Angelzubehörfachgeschäfte“, die kein Schwein braucht. Und meine Verkäuferin im „American Store“ gegenüber kenn' ich nicht persönlich, und nie fragt mich mein Kneipenwirt, ob ich ihn nicht mal kurz vertreten will, wie die das in „Verbotene Liebe“ oder „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ immer machen.

Was hab' ich nur falsch gemacht? Ich bin deprimiert! Außerdem regnet es. Es regnet in meine Seriengucker-Seele, und ich hab' kein Geschäft über dem Kopf. Das reale Leben ist grausam. Frank M. Ziegler