Tutti Frutti Import/Export

Teach-in from outer space: In der Berliner Volksbühne gaben Professoren, Poplinke und Science-fiction-Forscher Frontalunterricht in Sachen Alien-Forschung. Eine Gegenuni, die alles in allem stark an die Uni erinnerte – strictly business  ■ Von Thomas Groß

Als Little Richard Ende der Fünziger, sehr zum Vergnügen auch weißer Teenager, mit „Awopbopaloobopalopbamboom“ ein Jahrhundertstatement landete, war nicht abzusehen, wie kompliziert das alles einmal werden würde. Daß Ende der Neunziger beispielsweise auf einem Kongreß in Berlin die Hinwendung weißer Hörer zu schwarzer Musik als eines jener Motive gehandelt würde, „welche die Geistesgeschichte von Beginn an beschäftigt haben: die Beziehung zwischen ich und anderem, Alterität und Selbstbezug“.

Das klingt zwar fatal nach Leistungskurs Philosophie, allein: falsch ist es nicht. Irgendwann landen auch die naiven, die ekstatischen Künste in der Schlaufe Selbstreflexion. Dann wird das, was an ihnen vital und unmittelbar war, allmählich vom Wissen aufgefressen. Und das, was an ihnen einmalig schien, muß sich mit anderen Kulturtechniken verrechnen lassen, mittels deren die immer noch in Klassen und Rassen gespaltene Menschheit ihrem gedrückten Zustand zu entkommen sucht. That's the way it goes, oder? Sag du doch mal was dazu, Diedrich!

Diedrich Diederichsen, der sich seit seinem verstärkten Einsatz in der Erwachsenenbildung meist als „Pop-Philosoph“ ankündigen läßt, stand am Freitag auf der Bühne der Berliner Volksbühne und teachte das Publikum diesbezüglich Awareness. „Loving The Alien. Science-fiction, Diaspora, Multikultur“ hieß das dreitägige Symposium, das er maßgeblich in die Wege geleitet hat („Diederichsen-Wochenende“ war der inoffizielle Arbeitstitel der Volksbühnen-Crew) und zur Eröffnung mit Thesen bestückte: daß die Identifikation mit dem Anderen immer die Gefahr der Exotisierung in sich berge; daß das Fremde schließlich in der abgespaltenen Form des „Alien“ erscheine, eines Wesens vom anderen Stern; daß gerade die deutsche Rezeption afroamerikanischer Musik derartigen Sci-fi- Folklorismen angehangen habe und weiter anhänge; daß die Fetischisierung, auch wenn die Unterdrückten selbst dran mitstricken, letztlich ein Politikverhinderungsmechanismus sei, den es qua Kritik aufzubrechen gelte.

Inhaltlich ist dem nichts hinzuzufügen, es ist eine Variation der Lektion, die Diederichsen seit Jahren lernt und lehrt. Der Mehrwert lag hier, ähnlich wie bei Autorenlesungen, in der Performance: der allmählichen Vermündlichung der Gedanken beim Vorlesen; dem bandleaderartigen Vorstellen der angekündigten Kongreßteilnehmer – teils bekannter Vertreter der Cultural studies; dem Live-Dabeisein, wie gewisse Variationen über das Thema „Alien“ sich im Sprechen komplizierten, musikalisierten, Free Jazz zu werden wollen schienen, um dann unter dem immanenten Autoritarismus der Diederichsen-Figur doch wieder in die Mechanismen des klassischen Ex-cathedra- Vortrags zurückgezwungen zu werden. Englisch mußte es diesmal sein, weil nämlich das Deutsche gebrochen werden müsse. Das generöse Angebot, bitte anschließend nachzufragen, „if you have not understood something“, stieß erwartungsgemäß auf wenig Resonanz. Wer widerspricht schon seinem Professor?

Bis doch einer die entscheidende, die Kinderfrage stellte: „Äh, why all siss here in Börlin?“

Ja, zum Teufel, warum eigentlich? Eine winzige, unvorhergesehene Pause entstand, in die mögliche Antworten hineindrängten. Daß einem Denken, das in Deutschland noch viel weniger etabliert ist als in den USA oder England, hier ein Schaufenster eröffnet wird, hätte Diederichsen sagen können (was ja legitim wäre); daß er, Diederichsen, diesen Theorieimport geleistet hat und deshalb Wert darauf legt, ihn auf dem Konto historischer Diederichsen- Taten verbucht zu sehen (was desgleichen okay mit uns ist); daß das Englische als offiziell angesetzte, ja zur Schau gestellte Verkehrssprache auch viel mit den Usancen dieses neueren intellektuellen Internationalismus zu tun hat, der freilich auch von was leben muß und deshalb von Zeit zu Zeit einen Auftritt braucht (heutzutage verständlicher denn je).

Das alles hätte Diedrich Diederichsen sagen können, doch wohl aus Gründen des knalligeren Refrains entschloß er sich für die Rocky-Dutschke-Nummer: Es sei der Kampf gegen Superdeutschland, Superkapital, Globalisierung, der ihn und diese Männer und Frauen auf den Podien zu unser aller Wohl zusammengeführt habe, gerade an diesem historischen Ort, GERADE AN DIESEM HISTORISCHEN ORT! Es gehe um den intellektuellen Angriff „from outer space“.

Genau das wird ihm am Sonntag abend, nach drei Tagen „Loving The Alien“, keine/r mehr abgekauft haben.

Dabei ging es zunächst ja klasse weiter. Paul Gilroy, Soziologieprofessor am Goldsmith College der Universität von London (derzeit Zwischenlager der young British art), eröffnete den Samstag mit einem von Walter Benjamin inspirierten Close-reading schwarzer Alien-Phantasmagorien auf Plattencovern und in der Sportreklame: Wenn „Alienation“ (Entfremdung) an der Tagesordnung sei, die Gegenwart der Black Culture keine konkrete Tür mehr öffne, wandere Utopia eben aus, werde Traumbild von Raumschiffen, Riefenstahlkörpern und Cyborgs. Zwangsläufig.

Doch schon der Cyberkulturkritiker Mark Dery inszenierte vor allem den Angriff des intellektuellen Einzelkämpfers auf den Rest der Zeit. Dery verstand es, Trash-Phänomene der Gegenwart in allen Einzelheiten dandyesk auf der Zunge zu zerkauen, sein länglicher Vortrag handelte indes statt von Aliens vor allem vom latenten Katholizismus des Medientheoretikers Marshall McLuhan. Wahrscheinlich hatte er den halt gerade in der Schublade.

Von da an war die Richtung vorgegeben hin zu einem Lese- und Präsentationsmarathon von geradezu marthalerscher Zeitverachtung. Barbara Kirchner interpretierte die Alien-Metapher unter dem Aspekt von Sci-fi-Novellistik und Wissenschaftsgläubigkeit, Edward George brachte konkrete Beispiele aus dem afrobritischen Alltag. Absolute Ausnahme blieb die Intervention von Spex-Autor Tobias Nagl, der in einer überraschenden Volte die fällige Selbstreflexion der Popreflexion anstieß. Was, gab Nagl ketzerisch zu bedenken, sei hier eigentlich anderes im Gange als „German Academia trying to get sexy“?

In vain! Vollends aus dem Ruder lief das Ganze mit dem sterbenslangweiligen, praktisch erkenntnisfreien „hodge podge of associations“ von Renée Green, die zur Eröffnung der zweiten Vortragsrunde, während ganze acht Leute auf dem Podium auf ihren Einsatz warteten und der Saal allmählich wegdämmerte, stundenlang und ungerührt ihre Erinnerungen an die Mondlandung referierte, L.A. als Hauptstadt der Science-fiction entdeckte, ganze Film-/Song-/Romanhandlungen nacherzählte, dabei insbesondere auch Bezug nehmend auf Zwischen- und Zwischenzwischenergebnisse älterer Symposien zu ähnlichen Themen in New York und anderswo, wo dann auch wieder Diedrich Diederichsen gewesen war.

Nebenbei entstand immerhin ein Eindruck, wie man als Künstlerin so draufkommen kann, wenn die Umlaufbahn internationaler Kunst-/Theorie-Import/Export- Handelswege im Zeichen von Cultural Studies einmal erreicht ist und niemand einen bei Gelegenheit runterholt – schon aus Freundschaft.

Danach noch (short version): Greg Tate und Begleiterin Bahiyyih Davina Maroon mit einer Art Slam-Poetry-Einlage, Dietmar Dath, der den Prophetismus von Perry-Rhodan-Heften unter die Lupe nahm, Kodwo Eshun mit nietzscheanischen Einlassungen zur Kraft und Freude schwarzer elektronischer Musik sowie die Bestärkung der Einsicht, daß auch Gegenunis am Ende viel mit Unis gemeinsam haben: Strictly business, Frontal-Teaching, Herzeigen intellektuellen Kapitals – die Profs haben sich bloß popkulturell verkleidet.

Weil aber Entmystifizierungen, selbst wenn sie vom Lehrplan nicht vorgesehen sind, immer auch ihr Gutes haben, waren zumindest die beiden Konzerte des Sun Ra Arkestra wieder vorbehaltloser zu genießen. „You gotta face the music, you gotta face the music!“ forderte das 15köpfige Ensemble aus dem großen, glücklicherweise noch immer weitgehend unbeschriebenen Afroamerika, das mit altägyptischen Antennenhüten und spacigen Goldlamé-Kostümen aufmarschierte – gar nicht so einfach: Karneval der Kulturen? Aliens spielen für Aliens? Die Probe aufs Exempel? Hier bin ich Fan, hier darf ich's sein?

Vereinzelt, das sei hiermit beurkundet, waren Auswege aus der Übersemantisierungs- und Identification/Counteridentification- Falle möglich. „Coole alte Säcke“, findet einer. Nein, heißt es von anderer Stelle, besser noch sei „coole alte Säcke, die rocken“. Genau: coole alte Säcke, DIE ROCKEN! Und gar nicht mal so weit weg von Awopbopaloobopalopbamboom.