Gespräche über Liebe

■ Was Kairoer über die Liebe denken, hat der Ethnologe Steffen Strohmenger erforscht

Einst, in grauen Vorzeiten der sexuellen Revolution, waren viele Bundesbürger begierig, einen Blick auf fremde Liebeslager zu erhaschen. „Das Paarungsverhalten der (Natur)Völker“ war nicht nur ein Dauerthema in billigen Wochenmagazinen, die sich, reich bebildert, der Volksaufklärung in Sachen Pimpern und Poppen verschrieben hatten. Der internationalistische Voyeurismus erfaßte auch die gebildeten Stände. Wer es sich leisten konnte, der betrieb seine Feldforschung gleich ganz unten in Afrika oder weit hinten in der Südsee.

Inzwischen ist das zu erforschende Feld etwas nähergerückt. TV-Erotikshows präsentieren, was hinter des Nachbars Schlafzimmertür so vor sich geht. Und glaubte man dem Gesendetem und Gedrucktem, haben die Deutschen sich inzwischen luststeigernde Maschinenparks und Materiallager angelegt.

Indes, der Erkenntnisgewinn ist gering. Wer weiß schon, wie hierzulande im nichtöffentlichen Raum über Liebe geredet wird? Käme zum Beispiel ein ghanaischer Ethnologe auf die Idee, das Thema Liebe in Berlin zu vermessen und zu erforschen, welche Methode hätte er zu wählen, um vom Sexgerede einer „Schreinemakers“-Sendung zum amourösen Sein der Hauptstädter durchzudringen? Vor keinem geringeren Problem stand der junge Berliner Ethnologe Steffen Strohmenger, als er sich die wissenschaftliche Aufgabe stellte: Was weiß man als Ägypter gemeinhin über Liebe? Wie ist es um jedermanns Kompetenz in Sachen Liebe bestellt? Strohmenger war schlecht gerüstet. Denn während seiner Ethnologiestudien durfte sich der Autor viel mit der Politik, der Wirtschaft und dem Leben der Menschen vor allem der Dritten Welt beschäftigen, vom Thema Liebe keine Spur.

Dabei ist es einfach, eine Legitimation für das Forschungsvorhaben zu finden: „Schließlich“, so der Autor, „ist das Orientbild im Westen traditionell von Vorurteilen und Mythenbildung belastet: sowohl was die Negativurteile über eine religiös-fanatisierte, patriarchalisch-suppressive, lebens- und liebesfeindliche Gesellschaft betrifft als auch die Projektionen von Haremsphantasien einer sich hinter den Schleiern abspielenden geheimnisvollen Welt aus Tausendundeiner Nacht.“

Bei Strohmenger gab die Liebe selber den Anstoß zum einschlägigen Forschen. Seine Bezeihung zu einer Ägypterin aus Kairo und wohl auch die Differenz, die sich für die beiden bei ihren Liebesgesprächen am Nil aufgetan hatte, waren der Ansporn. Einmal sensibilisiert, überraschte den Ethnologen vor allem die kulturelle Wertschätzung der Liebeslyrik des großen und ewigen Omm Kalthum. Schon längst verstorben, sind die Lieder dieses „Stern des Orients“ in der ganzen arabischen Welt bis heute gleichermaßen beliebt. „Kaum ein Ägypter“, berichtet Strohmenger, „der nicht eine beeindruckende Anzahl von Liedpassagen auswendig könnte.“

Wie das Wissen über Liebe erforschen? Wie herausbekommen, was über Liebe gedacht, gefühlt und wie sie praktiziert wird? Steffen Strohmenger hat sich in „Kairo – Gespräche über Liebe“ für das Naheliegende und Machbare entschieden. Nicht das Liebesleben der Kairoer selbst wird von ihm durch das Schlüsselloch beobachtet. Statt dessen hat er protokolliert, was darüber erzählt wird. 22 Männer und Frauen im Alter von 19 bis 50 Jahren wurden in Einzelinterviews zu zwölf Themen befragt – von „Liebe im Gespräch“, „Sich kennenlernen“, „Liebe ist...“, Liebe und Heirat bis hin zu „Eifersucht“ und „Ehebruch“.

Als Ergebnis liegt nun auch ein für den wissenschaftlichen Laien anregend zu lesender fiktiver „Diskurs über Liebe“ vor. Ob „das Suchen und Streben nach Liebe in Ägypten viel größer und wichtiger ist als in Deutschland“, wie Strohmenger gegenüber dem ägyptischen Magazin Kult in Nas behauptet, sei dahingestellt. Auf jeden Fall erstaunt, wie reich und vielfältig eine gedachte und gelebte ägyptische Wirklichkeit der Liebe ausfällt, mit welch leidenschaftlichem Ernst die Interviewten ihre Gespräche über Liebe führen. Liest man die Passagen über den Zusammenhang von „Lieben und Heiraten“ oder „Eifersucht“, ist dem Autor zuzustimmen, daß das Suchen und Streben nach der Liebe in Ägypten zumindest stärker als in Deutschland dem Zusammenhalt der Gesellschaft dient und weniger der Befriedigung individueller Begehrlichkeiten. „Kairo – Gespräche über Liebe“ ist gleichzeitig eine ethnographische Studie, die die Stadt nicht als Geisel rachsüchtiger Islamisten darstellt. Ein Buch für alle, die mehr über Liebe und Islam erfahren wollen. Eberhard Seidel-Pielen

Steffen Strohmenger: „Kairo – Gespräche über Liebe“. Edition Trickster im Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1996, 272 Seiten, 38 DM