Die Balance des Architekten

■ Die erste deutsche Ausstellung zur Architektur Giuseppe Terragni im Altonaer Phönix-Haus

Die beste Architektur dieses Jahrhunderts in Italien ist für einen Großteil aller Fachleute ausgerechnet das Haus der faschistischen Partei in Como. Anders als bei den deutschen Kollegen des „Dritten Reichs“dominiert nicht neoklassizistische Säulenreihung und repressive Größe, sondern Leichtigkeit, Klarheit und Kontextualität. Die Qualität dieses Baus von Giuseppe Terragni (1904-1943) steht außer Zweifel. Was die bewundernde Rezeption nachhaltig stört, ist das völlig eindeutige Bekenntnis des rationalistischen Architekten zum Faschismus.

Drei Prof's der Fachhochschule Hamburg und 162 Studies haben sich in einem mehrjährigen Projekt an diesem Architekten abgearbeitet, vom Anfängerkurs Architektur bis zu Jörn Bornholdt und Jan Mollowitz, deren Diplomarbeit eine jetzt in Altona realisierte große Ausstellung ist.

Zwanzig feine Holzmodelle von Villen, Mietshäusern und Offizialbauten und ein vier mal vier Meter großes Gipsmodell des nie realisierten „Danteums“erläutern und zeigen das ganze Werk dieses wichtigen Architekten im Zusammenhang. Der 1938 geplante, museale Ehrentempel für den zum italienischen Nationalheros erhobenen Dichter Dante zeichnet sich durch eine freikünstlerische, siebenzahlige Umsetzung von Hölle, Fegefeuer, Paradies und neuem Imperium aus und fasziniert durch seine Balance von baulicher Abstraktion und schwerer Bedeutungsfracht. Das Gebäude ist nicht nur per neuerstellter Computeranimation zu besichtigen, es wurde auch versucht, sein Konzept in die heutige Zeit weiterzudenken.

Nicht nur, daß so unterschiedliche Personen wie Diktator Mussolini, Bauhäusler Walter Gropius und Postmodernist Aldo Rossi die Arbeiten Terragnis schätzten, macht das Projekt bemerkenswert. Es ist die erste deutsche Ausstellung zum Werk Terragnis überhaupt und somit der vorläufige Höhepunkt der Wiederentdeckung dieses Architekten in Italien, Europa und den USA seit den siebziger Jahren. Zudem setzt sie für die Fachhochschule eine deutliche Duftmarke im Streit der Hamburger Hochschulen um die Bedeutung und Umgestaltung der Architekturausbildung in dieser Stadt. Und schließlich darf sie als Statement gelten im posthistorischen Kontext kultureller Rehabilitation von künstlerischen Konzepten aus totalitärer Zeit im allgemeinen. Letzteres nimmt mitunter seltsame Züge an, wenn die endlich 1943 vom faschistischen Großrat und dem König von Italien legal verfügte Absetzung Mussolinis auf der Zeittafel der Ausstellung irrtümlich als „Staatsstreich“bezeichnet wird.

Die generelle Bereitschaft von Architekten, egal welchen Auftraggebern willfährig zu sein, wenn nur ein großes Auftragsvolumen winkt, läßt sie mitunter blind werden gegenüber bloß rhetorischen oder sinnlos großen gebauten Gesten. Und so bleibt es eine Herausforderung, daß der erklärte Faschist Terragni weniger totalitär und mit mehr mediterranem Maßverständnis gebaut hat, als manche liberalen Demokraten im Auftrag der Konzerne. „Vielleicht haben viele jener Phänomene, die nur mittelbar mit den Faschisten zu tun haben, noch gar kein Ende gefunden...“, wird vorsichtig der Schweizer Architekturkritiker Christoph Bürkle auf einer Texttafel zitiert. Die Diskussion ist also noch nicht beendet. Und wenn die Ausstellung nächstes Jahr an das Deutsche Architekturzentrum in Berlin geht, entfaltet sie in dieser unserer von der Bauwut befallenen neu-alten Hauptstadt sicher noch mehr Bedeutung als im nett zugeklinkerten Hamburg.

Hajo Schiff

Phoenix-Hof, Ruhrstr. 11 a, bis 29. November