Vitamin C in zu hohen Dosen

Seit drei Jahren wird Mülheim an der Ruhr von einer grün-schwarzen Koalition regiert. Trotz des Erfolgs zeigen sich bei den Grünen Ermüdungserscheinungen  ■ Von Walter Jakobs

Für Stefan Zowislo ist das schwarz-grüne Bündnis in Mülheim trotz aller Querelen immer noch eine „tolle Sache“. Es tue der knapp 180.000 Einwohner zählenden Stadt gut, denn CDU und Grüne „bringen Milieus zusammen, die miteinander reden müssen und es über diesen Weg tun“. Insgesamt erscheint Zowislo das Modell als „guter Notausgang aus erstarrten Verhältnissen“.

Als ein praktisches Beispiel für eine neue Politik nannte Zowislo am Samstag bei der von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisierten schwarz-grünen Nabelschau die von beiden Parteien auf den Weg gebrachte Neugründung der Stadtwerke. Aus der Verbindung von „schwarzem Pragmatismus und grüner Prinzipientreue“ sei etwas entstanden, das keine Partei allein in dieser Qualität hinbekommen habe. Innerhalb der Grünen stimmen aber längst nicht alle in das CDU-Loblied ein.

Doch die Kritiker blieben am Samstag in der Minderheit, zumal das Wuppertaler Klimainstitut, das während der Vertragsverhandlungen eine Art Moderation inne hatte, das Ergebnis in höchsten Tönen pries. Es sei, so Institutsmitarbeiter Nikolaus Richter, ein „stark ökologisch orientiertes Vertragswerk“ entstanden.

Ein Lob ganz nach dem Geschmack des CDU-Reformers Zowislo, der jetzt darum kämpft, daß aus der aus gemeinsamen Oppositionszeiten herrührenden schwarz- grünen „Leidensgemeinschaft“ eine „Gestaltungsgemeinschaft“ wird. Bis zur Kommunalwahl vor drei Jahren hatte die SPD 46 Jahre lang allein in Mülheim an der Ruhr regiert. Machtvergessen und machtversessen wie in vielen Städten im Revier. Es war diese SPD- Politik nach „Gutsherrenart“, da waren sich Grüne und Christdemokraten am Samstag einig, die wesentlich den Weg zur „schwarz- grünen Vernunftehe“, so der CDU-Parteichef Andreas Schmidt, ebnete.

Damals war auch Lothar Reinhard, ein Gründungsmitglied der Mülheimer Grünen, dafür. Doch heute fordert Reinhard die Scheidung von der CDU. Die gemeinsame Programmatik sei längst aufgebraucht.

Eine ganze Liste „verfehlter Projekte“, von der Schul- über die Stadtentwicklungs- bis hin zur Verkehrspolitik führte der Bündniskritiker als Beleg an. Das Abstimmungsverhalten im Rat und den Ausschüssen mache das Scheitern offensichtlich. Wechselnde Mehrheiten seien inzwischen an der Tagesordnung. Zudem verhalte sich die Mülheimer CDU inzwischen „genauso wie die CDU in Bonn oder die SPD früher in Mülheim“.

Die Mehrheit des traditionell eher linken grünen Kreisverbandes teilt diese Sicht nicht. Mit 20 gegen 14 Stimmen plädierte die Mitgliederversammlung kürzlich für eine Fortsetzung der Koalition. Von „momentanen Problemen“ spricht inzwischen der grüne Parteichef Hartmut Cremer. Deshalb fänden jetzt „Zwischenkoalitionsverhandlungen“ statt. Im Februar wird erneut entschieden.

Vom Scheitern wollte am Samstag der Parteivorsitzende Andreas Schmidt, der als CDU-Bundestagsabgeordneter mit zur schwarz- grünen „Pizza-Connection“ in Bonn zählt, nichts wissen. Für die kommunale Ebene sei Mülheim „weiterhin ein Modell – insbesondere im Revier“. Wenn Rot-Grün bei der kommenden Bundestagswahl verliere, so Schmidt, „werden die 68er durch die 89er ersetzt“, und dann werde „Scharz-Grün“ bald auch in Bonn möglich. Gegenseitige Feindbilder begännen sich schon jetzt aufzulösen. Deshalb, so Schmidt, „plädiere ich dafür, die schwarz-grüne Option offenzuhalten“.

Glaubt man der jüngsten – von der Mülheimer Stadtverwaltung in Auftrag gegebenen – Meinungsumfrage, bleibt schwarz-grün nur eine Episode. Schon bei der nächsten Wahl, 1999, drohe das Ende. Für die SPD ermittelten die Meinungsforscher nach dem erdrutschartigen Verlust im Jahr 1994 jetzt breits wieder 49,4 Prozent. Die CDU erreiche nur noch 32,5 Prozent. Auch die Grünen gingen baden: von 14,7 auf 12 Prozent. Am Samstag zeigten sich Schwarze und Grüne von diesen Zahlen unbeeindruckt. Ganz wie Helmut Kohl setzen sie darauf, daß die SPD die Meinungsumfragen und „wir die Wahlen gewinnen“.