Zwischen den Rillen
: Tamagotchi von links

■ Kommentare aus dem Off der Songmoderne: Knarf Rellöm und Momus

Das Dumme ist ja: Die alten Fragen – Was ist oben, wo ist unten? Wo steht mein Kopf? ICH: geht das überhaupt noch? – haben nur deshalb, weil sie landläufig uninteressant geworden sind, nicht einfach aufgehört, sich zu stellen. Das aber ist natürlich zugleich das Tolle. Immer noch bringt die alte Mühle Selbstbefragung im Zeichen eines erweiterten Songbegriffs Platten hervor, die derart insistierend rumnerven, daß man sie plötzlich und zur eigenen Verwunderung mögen muß.

Zum Beispiel Knarf Rellöm – würden Sie sich je so nennen? „Ladies Love“ Knarf Rellöm (= Frank Möller), der dem Flachland um Hamburg entstammt, erklärt seine häufig wechselnden Projektnamen („Durutti“, „Avanti“, „Bohemia“, Knarf Rellöm) als Tarnmanöver vor den Trendscouts der Plattenindustrie. Weil das Risiko des Charteinstiegs trotz oder wegen des herausfordernden CD-Titels „Bitte vor R.E.M. einordnen“ aber als nicht sonderlich hoch einzuschätzen ist, muß zugleich auf tiefer liegende Motive geschlossen werden: Diese Platte macht sich absichtlich unschick, weil sie dein Freund sein will. Sie will, daß du es auch ernst meinst, wenn du sie kaufst.

„Ich sah blöd aus, und ich hab' es geahnt“, meint Rellöm in „Autobiographie einer Heizung“, einem Talking Blues, der anamnetisch die Stationen nicht so toller Jugenderfahrungen einkreist. „Bitte vor R.E.M. einordnen“ beschreibt aber auch genuine Erfahrungen der Jetztzeit: Auf einer Fete sein und plötzlich, obwohl sie doch alle nett sind, alle doof finden. In der Küche sitzen und die Schuhe der Freundin anstarren – „so sexy auch ohne dich“. Schreckhaft feststellen, daß man über zuwenig A.L.G. verfügt (= „Anderer Leute Geld“). So geht es im Uhrzeigersinn, bis Ottos Mops kotzt.

Andere mögen diese Erfahrung der Spaßtyrannei und des betriebsamen Stillstands flüssiger in Songsprache umgesetzt haben, Rellöm bleibt es vorbehalten, die älteren Schichten problemjugendlicher Verwirrung wachzuhalten. Und doch sucht auch er nach „ganz speziellen Seitenausgängen aus dem Songwriterdilemma des 20. Jahrhunderts“ (Promo). Statt angesichts der weltpolitischen Lage zu kapitulieren, „stellt sich diese Sammlung in jedem Moment bei aller Privatheit den neuen Paradigmen“. Getreu dem McLuhanschen Satz, der Freundeskreis sei eine Erweiterung des eigenen Nervensystems, hat Rellöm seine im Zeitraum 93 bis 97 entstandenen Fragmente in den Heimstudio- Pool all der Leute hineingeschmissen, die auf Song-Wanderschaft ein Bier mit ihm geteilt haben – von Zürich über Duisburg nach Dithmarschen. Mal wurde das Handgezupfte herausgestrichen, mal knattert ein Elektroarrangement unter dem Wortstrom einher und verleiht ihm Brechungen, die die eigene Werkstatt so nicht hergegeben hätte. Etwas unspezifisch Lärmig-Neues sickert ein in die Lücken, die herumschwirrende Arrangementschwaden der Einzelstimme schaffen oder lassen. Es ist ein Hauch Verzweiflung um seinen Versuch, dem alten Blues/Soul zu entkommen, ohne ihn den Maschen des global-elektronischen Listening zu opfern. „Sound 'n' Songalbum“ nennt man so was wohl mittlerweile. Aber tolle Platte. Von allen Hamburger Schülern schätze ich am meisten die interessanten.

Als Nicholas Currie Ende der Achtziger begann, seine akustischen, herbstmeisterlich melancholischen Songtexturen am Computer zu bearbeiten, wurde das vereinzelt als Ranschmeiße an die Techno-Welt verstanden. Heute, wo solche Verfahren preisgünstig zu haben sind, wundert man sich eher, daß immer noch etwas durchscheint vom ursprünglichen Gewebe. Dabei ist es nicht so, daß Currie, der sich als Künstlercharakter Momus nennt, kein Meister des elektronischen Editierens wäre. Er hat alles drauf: Pet-Shop- Boys-Hymnik, Kirmestechno 'n' Bass, Nähnadeljazz – eine Einmannband auf dem Weltniveau aktuellen Schlafzimmerproduzententums. Doch immer dann, wenn die Arrangements ins Pathetische schlieren, wenn das Portishead-Gefühl dich beschleicht mit seiner De-Luxe- Suggestion nächtlicher Taxifahrten im Regen, war der Text doch irgendwie zuerst da und fährt dazwischen wie ein Kommentar aus dem Off. Nun glotzt nicht so romantisch!

Dieses epische Verfahren gibt Momus den Mut, sich an die ganz großen Dinge heranzumachen: „The Sensation Of Orgasm“, „My Pervert Doppelganger“, „The Animal That Desires“. Ein Tamagotchi kommt auch vor, geschildert aus der Sicht seines Pressesprechers – press button! Triebschicksale auf Japanurlaub, wo dann aber doch die ein oder andere Exzentrikerplatte aufgelegt wird. „Ping Pong“ ist ein Album, das massenweise Elektronik gefressen, aber im Sinne älterer Kulturtechniken ins Europäisch-Literarische sublimiert hat – eine Art Novellenzyklus des Informationszeitalters. Jeder Song ein unterschiedlicher Charakter, jede Spielfigur eine Miniaturreflexion, die tödlich ernstgenommen werden will, aber so ernst auch wieder nicht. Denn Befindlichkeit ist auch nur ein 13-Letter-Word, und Welttheater ein Narrativ mit Zukunft. Den Humor dazu muß man zugegebenermaßen erst mal mitbringen. Momus/Currie selbst hat im Kleingedruckten gewarnt: „9-volt imagination required, not included.“ Thomas Groß

Ladies Love Knarf Rellöm: „Bitte vor R.E.M einordnen“ (What's So Funny About...)

Momus: „Ping Pong“ (Bungalow)