Der Tod ist ein dressierter Zirkusbär

■ Früher nahm sie Eisberge ins Schlepptau, heute läßt sie leere Achter rudern. Der Kunstverein Hannover stellt Christiane Möbus aus

Das waren Zeiten. Anfang der siebziger Jahre band sich Christiane Möbus Vogelschwingen an die Arme und sprang schamanengleich durch ein Feld. Sie nannte diese Performance „New Life“. Kurz darauf hatte sie eine weitere schöne Idee: Vor Grönland wollte sie einen Eisberg ins Schlepptau nehmen und ihn bis zur deutschen Nordseeküste ziehen. Geblieben ist von diesem Projekt eine Landkarte, auf der die geplante Route dick eingezeichnet ist.

Das ist lange her. Dennoch stecken die in diesen Arbeiten erkennbaren Motive tief im Werk der 1947 geborenen und heute an der Berliner Hochschule der Künste lehrenden Künstlerin. Zum Beispiel in ihrer neuen Arbeit „tödlich“. Zwei ausgestopfte Eisbären liegen auf dem Rücken und balancieren wie dressierte Zirkustiere auf ihren Füßen je einen weißen Kegel, das karge Symbol eines Eisbergs. Die Umkehrung der Verhältnisse von Größe und Gewicht, der Zusammenfall von lebendigem Spiel und tödlicher Starre – in „tödlich“ bleibt das Spiel mit den Ambivalenzen selbst in der Schwebe und zeugt von einem Überfluß der Idee, der nicht zu dämmen ist. In anderen Arbeiten bleibt dieser Überfluß allerdings im bloßen Abbild stecken.

Das trifft für Möbus' wohl populärstes Stück „Auf dem Rücken der Tiere“ (1994) zu. In dieser raumfüllenden Installation wird ein großes, aus dunkelbraunen Planken gezimmertes Boot von geduckten, ausgestopften Löwen, Wildschweinen und Füchsen getragen. Bis zum Anschlag ist hier visuell ausformuliert, was als gedanklicher Ausgangspunkt in den Worten des Titels schon steckt.

Die „laute und leise Stücke“ benannte Ausstellung im Kunstverein Hannover gibt aber auch Gelegenheit, die Vielschichtigkeit der Kunst von Christiane Möbus kennenzulernen. Die Fast-Retrospektive mit 16 Arbeiten aus 20 Jahren hat aber ihren Schwerpunkt in der Gegenwart, denn die Künstlerin konnte für Hannover acht lange anvisierte Projekte vollenden.

Dabei stechen besonders die kinetischen Arbeiten heraus. Den länglichen Raum des Kunstvereins hat sie mit zwei 19 Meter langen Rennachtern bestückt. Beide Boote werden von einer Führschiene auf dem Boden gestützt. Mit Motorkraft werden sie in entgegengesetzter Richtung vor- und zurückbewegt. Diese sinnlose Bewegung, die zu nichts führt, selbst aber einen ruhigen Fluß ergibt, wird unterstützt durch den Titel der Arbeit „Oxford – Cambridge“, der in schwarzen Lettern auf den Längswänden des Raumes doppelt angebracht ist.

Zwecklos ist auch das unentwegte Hin und Her, von dem „Manpower, silent“ (1997) geprägt ist. Drei zylinderförmige, in Schwarz, Grau und Gelb lackierte Gefährte werden von optoelektrisch gesteuerten Motoren angetrieben. Man kann sich in ihre Mitte stellen und wird doch nicht von ihnen berührt. Ihre Selbstbezüglichkeit wird durch Busrückspiegel noch betont, die an ihre Seiten montiert sind. So hermetisch die drei Objekte erscheinen, so offen sind sie doch – jeder Annäherung können sie ausweichen. Die Arbeit wird durch diese Gleichartigkeit von offenen und geschlossenen Strukturen zum Sinnbild: ein Mix aus Überwachung und Kontaktlosigkeit. Martin Pesch

Christiane Möbus: „laute und leise Stücke“. Bis 9.11., Kunstverein Hannover