Ferien mit Fanggarantie

Beißzeit: Wenn Angler auf Reisen gehen, suchen sie keine Erholung. Sie wollen nur eins: Fisch. Längst ist auch aus dem Anglertourismus eine milliardenschwere Industrie geworden, die reichlich Kurioses bietet  ■ Von Marc Bielefeld

Normale Urlauber würden jetzt ausschlafen. Oder frühstücken. Sie würden die Zeitung lesen, eine Wattwanderung machen oder bestenfalls etwas Frühsport treiben. Eben entspannt die freien Tage genießen. Bei Andreas S. aus Berlin fällt der Dänemark-Trip anders aus. Es ist sieben Uhr morgens, der junge Jurist ist auf dem Weg zum Friedhof. Komposthaufen suchen. Einen schönen Komposthaufen mit dicken Regenwürmern drin. Die an den Friedhöfen sind nun mal die besten. Tief graben sich seine Hände in die dunkle Erde, und bald wimmelt es in der alten Gemüsebüchse von blutrotem, fettem und sich ekelhaft windendem Gewürm. Wer den angehenden Herrn Staatsanwalt hier in aller Hergottsfrühe neben der dänischen Kirche im Kompost wühlen sieht, denkt an einen verwirrten Totengräber, nicht an einen passionierten deutschen Fischtouristen. Doch der bauchlastige Berliner in den grünen Gummistiefeln weiß, was er tut. Er will Fische, viele Fische. Und mit diesen Würmern wird er sie aus der Au holen. Dicke Döbel, Forellen, Hechte, Äschen und vielleicht sogar einen zünftigen Zander. Willkommen im Angelurlaub.

Nun sind Menschen wie Kompost-Andy keine kauzigen Spinner, sondern eine durchaus ernstzunehmende Klientel. Um die eingeschworene Diaspora der Petri- Jünger ist weltweit eine milliardenschwere Industrie entstanden, denn die drögen Rutenschwinger sind nicht nur fanatische Hobbysportler, sondern vor allem reiselustige und bisweilen äußerst zahlungskräftige Zeitgenossen. Man sieht sie vor Key West auf schweren Millionenyachten, von Ostseehäfen aus stechen sie auf Kuttern in See, schwer bewehrt mit allerlei Fanggeschirr. Andere wiederum sitzen stundenlang im Klappstuhl an entlegenen Karpfentümpeln und beschwören ihre Posen. Sie alle haben eins gemein: Sie wollen Fisch. Sie brauchen Fisch.

In den Zeiten der modernen Erlebnisreise darf sich dabei auch der angelnde Mensch eines bunten Angebots erfreuen. Abenteuerangeln in Norwegen, Lachstrolling in Schweden, Big-Game-Fishing vor Kenia, Hochseeangeln vor Namibia, mit Beluga Tours zum Forellenfischen auf den Rio Grande nach Chile oder auf der MS Kehrwieder zum Dickdorsch-Angeln in den Öresund – der Special-interest-Tourismus hat die Angler entdeckt und lockt sie an die Gewässer dieser Welt. Ausgefeilte Rundumangebote und verheißungsvolle Fischsafaris buhlen um die Gunst der Hobbyjäger. Dabei stößt man bisweilen auf Skurriles, das selbst dem Laien einen kleinen Einblick in die Tiefen der Anglerseele gewährt.

Die Reiseseiten der Fachlektüre sind voll. Da geht's zum Familienangeln in die kanadische Wildnis oder zum Marlin-Wettkampfangeln nach Mauritius, wo ein Bootsvollcharter à neun Stunden schlappe 595 Mark kostet. Da werden Ferienhäuser mit fischgerechten Tiefkühltruhen an schwedischen Schärengärten vermietet und Mittsommernachtsausflüge im Dorsch-Eldorado Lofoten veranstaltet. 80-Pfund-Hechte werden versprochen in einem drei Hektar großen Schloßweiher bei Mönchengladbach – Rekordfische garantiert. Oder wie wär's mit einer Fahrt im komfortablen Kabinenkreuzer mit Satelliten-TV vor Irland: auf Blauhai gehen. Für Volljunkies hat sich ein Hotel in Norwegen eine 24-Stunden-Lösung ausgedacht. Die Zimmer sind praktischerweise über dem Wasser gebaut, was man dazu genutzt hat, zwei Quadratmeter große Löcher in die Böden zu sägen, damit die Gäste Tag und Nacht direkt vomn Sofa aus angeln können. Kein Witz.

Dabei sind Angler bodenständige Typen. Naturverbunden, schweigsam und geduldig. Auch nach zehn Stunden vergeblichen Auswerfens hat Andreas S. noch nicht aufgegeben. Doch die Forellen in der dänischen Au wollen heute nicht so recht. Die verdammten Äschen auch nicht. Kein Wunder bei dem trüben Krautwasser. Das meiden die Fische nämlich wie der Angler seine maßregelnde Frau. Es kommt, wie es kommen mußte. Die Nacht bricht herein, und die Rute ragt noch immer kerzengerade in den Himmel. Bitteres Fazit des Tages: Keine Beute heute! Das ist schlecht. Erst, wenn man dem bleich gewordenen Berliner beim Einpacken näherkommt, sieht man, wie seine Hände zittern.

Im Angeltourismus hat man sich auf solche Fisch-GAUs eingestellt und allerlei Maßnahmen getroffen, um Fischsegen auf Bestellung zu ermöglichen. Da gibt es zum Beispiel die Put-and-Take- Seen, beliebt vor allem in Dänemark. Hier werden Zuchtfische ausgesetzt, um Erfolgserlebnisse zu garantieren, schließlich soll der Angler für sein Geld auch etwas fangen.

Dafür ist den Anbietern jedes Mittel recht. So gibt es sogar Firmen für Teichkonstruktionen. Angelnde Wochenendhausbesitzer, die keinen Tümpel haben, lassen sich eben einen bauen. Auch die Tiere dazu gibt es zu kaufen. Eine Fischzucht bietet Köder- und Futterfische kostengünstig per Speditionsversand an. Fünfzig Kilogramm fangfähiger Spiegelkarpfen kommen für rund 320 Mark per Lkw. Auf Moderlieschen, einjährige Rotfedern und Satzhechte gibt's ab 500 Stück Rabatte. Angerglück ist eben machbar.

Aber eben auch nicht immer. Wie er so dasteht in seiner Anglerweste, in der rechten Hand den leeren Kescher, in der linken den Hammerstiel und auf dem Kopf die Kappe mit integriertem Fliegennetz, sieht Andreas S. nicht gerade glücklich aus. Stilles Urlaubsdrama an der Au.

Außenstehende erinnert die Szene eher an einen Ausflug der Ducks. Mit Sack und Pack und Tick und Trick und Track. Am Ende hing er dann, meist hoffnungslos in achtzig Meter Angelschnur verheddert, kopfüber in einer Trauerweide, quakte und fluchte, was der Entenschnabel hergab.

Kaum einer Freizeitbeschäftigung wird in Amerika mehr gefrönt. Das Jagen der Fische ist nicht nur ein gewinnträchtiger Markt, auf dem Materialfetischismus in allen erdenklichen Preislagen betrieben wird. Professuren an vielen US-Universitäten widmen der Königsdisziplin des Angelns, dem Fliegenfischen, sogar wissenschaftliches Interesse. Angeln hat in den USA Tradition. Ob in Florida, Minnesota, Maine oder im kalifornischen Bodega Bay: Für den Wochenendtrip hat jede Familie mindestens zwei komplette Angelsets in der Garage. Norman McLean wurde für den Pulitzer- Preis nominiert, als er in seinem Bestseller „In der Mitte entsprang ein Fluß“ schrieb: „In unserer Familie gab es keine klare Trennlinie zwischen Fliegenfischen und Religion.“

Professionelle Charterskipper gehen die Sache indes weniger pietätvoll an: Nichts wird gescheut, um den Fang erfolgreich zu gestalten. Kutterkapitäne beim Hochseeangeln arbeiten mit hochauflösenden LCD-Displays – Echolote orten Schwärme oder große Fische in Tiefen bis zu 300 Metern. Fischfinder und Hydrofone bringen den Mann zum Fisch. Koste es, was es wolle – Ferien mit Fanggarantie liegen im Trend. Und falls ein echtes Prachtexemplar an den Haken geht, gibt es Möglichkeiten, den Moment zu erhalten, sprich: den Fisch für die Ewigkeit herzurichten. Fischpräparatoren liefern sämtliche Arbeitsmaterialien: Chemikalien und Farben, Stopfwolle und die passenden Augen aus Plastik. Statt Urlaubsfotos gibt's bei echten Anglern eben Hecht in Klarlack.

Was hat der alte Hemingway da nur angerichtet! Auf Videos, in Prospekten und unzähligen Kleinanzeigen – überall lockt der Fisch den Fischer im Mann. Zum Beispiel nach Kenia in den Pemba Channel. In einem Reisebericht des Fachmagazins Blinker werden hier die besten Marlin-Plätze der Welt beschrieben. Manche Angler zieht es auf ein Hausboot nach Masuren, ins Land des tausend Seen. Andere wiederum zu den Lachsen nach Ochotsk in Rußland. Oder zu einem Bonefisch-Abenteuer in die Outer Bahamas. Den Zielen im Angeltourismus sind keine Grenzen gesetzt. Abseits von Normalreisenden brechen die Fisch-Freaks zu immer neuen Ufern auf, um den Wurm zu baden. Mancher Besessene landet dabei im Kompost. Aber das ist dann wohl das Ende einer langen Reise.