Gottes eifrigste Kinder

Sie waren nie Hitlers willige Vollstrecker, weil es neben ihrem Gott Jahwe weder eine weltliche Instanz noch einen Führer geben kann. Selbst ein demokratischer Staat wie Deutschland ist den Zeugen Jehovas nur ein unzulängliches Gebilde von Menschenhand, von dem sie sich fernzuhalten haben. Und doch sind die „Bibelforscher“, wie sie sich bis 1931 nannten, jetzt vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, um von eben diesem Staat Privilegien einzufordern. Die Zeugen Jehovas wollen Körperschaft des öffentlichen Rechts werden. Um Materielles wie Steuervergünstigungen geht es nicht allein – vor allem geht es ihnen darum, das Stigma einer Sekte abzustreifen. Dabei hat Religiöses in wirtschaftlich unsicheren Zeiten Hochkonjunktur. Allein in Deutschland sollen ein bis zwei Millionen Menschen Sekten und Psychokulten angehören. Mit der gleichen Tendenz, mit der diese Gruppen Zulauf verzeichnen, wächst auch die Angst vor ihnen. Der Streit um die Gefährlichkeit der Scientologen beschäftigt die Öffentlichkeit seit Jahren. Psychologen und Historiker sprechen inzwischen sogar von „Sektenhysterie“. Spinnert oder gar gefährlich seien die Zeugen Jehovas nicht, beteuert deren deutscher Sprecher Wolfram Slupina. Ehemalige „Zeugen“ sehen das anders. Für sie sind die Bibelforscher keineswegs Weltentrückte, die nur den Wortlaut der Bibel leben. Vielmehr würde sich der weltweit operierende Wirtschaftskonzern „das Wort Gottes“ so zurechtlegen, wie es den eigenen Geschäften dienlich ist. Die einfachen Mitglieder seien nicht mehr als willfährige Arbeitskräfte. Und würden unter massiven psychischen Druck gesetzt, in jungen Jahren gar mit körperlichen Züchtigungen in die Sektendisziplin gezwungen. Der Jehovas-Aussteiger Stephan Erich Wolf erzählt der taz, wie er als Jugendlicher geschlagen wurde, weil er Jeans tragen wollte – doch dieses Textil war als „weltlich“ verpönt. Wolf mußte bei Null anfangen, nachdem er sich von den Verkündern des Weltuntergangs abwandte. Soziale Isolation als Strafe. Die Religionsgemeinschaft als Schutz vor sozialer Einsamkeit, Anonymität und Leistungsdruck? Die Zeugen Jehovas – eine Antwort für die „kleinen Leute“ auf die Unbill der Moderne? Ein Dossier von Uta Andresen & Petra Lutz