Wider Ornament und Trägheit

■ Die Jüdische Gemeinde Hamburg will mit ihrem Kulturprogramm politische Signale setzen

Der Vermittlung von Kultur räumt die Jüdische Gemeinde in Hamburg einen hohen Stellenwert ein. Seit zwanzig Jahren vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Referent im Gemeindesaal Hohe Weide 34 seine intellektuelle Visitenkarte abgibt oder Filmvorführungen und Konzerte stattfinden. „Unsere Gemeinde bietet ein qualitativ hochwertiges Programm an, das außergewöhnlich ist in Deutschland“, sagt John Günther, der Vorsitzende des Kulturausschusses, nicht ohne Stolz.

Neben typischen Bildungsbürgerthemen wie „Ornamentik auf jüdischen Grabsteinen“und akademischen Vorträgen packen Günther und seine vier Ausschuß-Mitarbeiter auch heißere thematische Eisen an: „Wir wollen durchaus politische Signale setzen. Wenn die Thematik etwas provokanter formuliert ist, kommen die Leute auch und diskutieren miteinander.“Im Schnitt besuchen sechzig bis hundert Zuhörer die Veranstaltungen, „aber die Trägheit vieler Gemeindemitglieder ist leider sehr groß“, bedauert Günther.

Unter der Leitung von Günther und dem Vorstandsmitglied der Gemeinde, Gabriela Fenyes, hat in den letzten Jahren eine Akzentverschiebung innerhalb des Kulturprogramms stattgefunden. „Früher kamen die Referenten fast nur von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Heute kooperieren wir vor allem mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, dem Veranstaltungszentrum Fabrik und der Heinrich-Heine-Buchhandlung. Unsere Themen sind aktueller geworden“, resümiert Gabriela Fenyes. „Schon jetzt ziehen wir eine sehr gebildete Klientel an, auch viele Nichtjuden sind darunter. Wir sind bemüht, die Schwellenangst weiter abzubauen.“

So sollen weitere Begegnungsmöglichkeiten geschaffen werden. Hierbei wird auch das Jüdische Museum in Rendsburg eine zunehmend wichtigere Rolle spielen, das die Hamburger Gemeinde federführend betreut. Eine eigene Veranstaltungsreihe wird für die „kulturinteressierten Zuwanderer aus Rußland“angeboten. Wegen der Sprachbarrieren findet diese Reihe noch auf Russisch statt. Zum Fundus gehört inzwischen auch eine eigens zusammengetragene russische Bibliothek. Die zeitintensive Organisationsarbeit wird ausschließlich ehrenamtlich geleistet. Auch auf Kultursponsoring verzichtet die Gemeinde. „Wir wollen unabhängig bleiben“, sagt Gabriela Fenyes energisch. Trotzdem ist es wieder einmal gelungen, im November und Dezember ein interessantes Programm auf den Weg zu bringen.

Wegen der hohen jüdischen Feiertage findet im Oktober nur noch eine Veranstaltung statt. Heute um 19 Uhr erzählt Ursula Randt „Die Geschichte der Talmud-Tora-Schule von 1800 bis 1942“, und am 5. November referiert Uwe Lohalm über „Öffentliche Verwaltung und nationalsozialistische Judenpolitik“. Höhepunkt ist der Auftritt des Jüdischen Komödientheaters aus Israel mit Sarale Feldmann am 26. November, 19 Uhr, Gemeindesaal Hohe Weide. Im Dezember folgen Vorträge über die Geschichte der jiddischen Sprache. Da dürfte für jeden etwas dabei sein. Vol Volker Stahl