Eine Legende steht zum Verkauf

■ Einst begann Garcia Marquez bei "El Espectador". Die Zeitung prangert die Macht der Drogenbosse und der Industriekonzerne an - nun soll sie an einen von ihnen verkauft werden

Zig Journalisten wurden von Kolumbiens Drogenkartellen umgebracht – doch der Mord an Guillermo Cano war der brutalste und der folgenreichste. „Guillermo Cano, dem Wehrlosesten unter ihnen, wurde am 17. Dezember 1987 aufgelauert“, berichtet Gabriel Garcia Márquez in seinem Buch „Nachricht von einer Entführung“, „zwei Pistoleros erschossen ihn auf der Türschwelle seiner Zeitung.“ Der Chefredakteur der Tageszeitung El Espectador, der eine US- Studie über die Macht der Drogenmafia ins Blatt gehoben hatte, war den Bossen um Drogenbaron Pablo Escobar, dem das Attentat zugeschrieben wird, derart verhaßt, daß sie noch über seinen Tod hinaus nach seinem Leben trachteten, wie Garcia Márquez berichtet: „Eine Büste, ihm zu Ehren aufgestellt, wurde in Medellin mit Dynamit gesprengt.“

Heute ist Canos Name ein Symbol für unabhängigen Journalismus. Die Unesco verleiht alljährlich den Guillermo-Cano-Preis für die Freiheit der Presse. Und im letzten Jahr benannte Frankreichs Le Monde anläßlich ihres Jubiläums die „couragierteste Zeitung der Welt“ – es war El Espectador.

Doch die große Zeit der liberalen Tageszeitung scheint vergangen zu sein. Nach Cano, heißt es bei Weggefährten, begann der Abstieg. Und heute steht El Espectador, das Blatt, in dem Garcia Márquez die ersten Literaturkritiken und Reportagen schrieb, zum Verkauf. Als aussichtsreichster Interessent wird das Industriekonglomerat Santodomingo genannt.

Was dem Blatt die internationale Anerkennung brachte, bescherte ihm letztlich auch die finanziellen Probleme, die die Verlegerfamilie Cano nun zu dem Schritt nötigen. El Espectador hat immer wieder gewarnt, die kolumbianische Gesellschaft werde von der Drogenmafia unterwandert. Wenige Monate nach dem ersten Attentat zerstörten 300 Kilo Dynamit den Maschinenpark des Verlags – ein kostspieliger Neubau trieb die Millionenschulden des Verlags nach oben. Zudem beraubte der Mord an Guillermo Cano das Blatt seines wichtigsten Mannes. „Er war der letzte, der die Zeitung geführt hat, mittlerweile gibt es keinen Kopf mehr“, sagen Kenner.

Ein Grund für die Verschuldung sei aber auch das Mißmanagement, sagen Experten. Die Zeitung gehört seit der Gründung im Jahr 1887 der Verlegerfamilie Cano. Die Medienwissenschaftlerin Maria Teresa Herrán: „Man hat versäumt, das Familienunternehmen zu einem Industrieunternehmen umzubauen.“ Unerfahrene Familienmitglieder übernahmen nach Canos Tod die Redaktionsleitung. Dazu seien Streitigkeiten in der Verlegerfamilie gekommen.

Dennoch argumentierte das liberale Blatt weiterhin ebenso hartnäckig gegen die Drogenbarone wie gegen ein anderes Phänomen: Die hohe Konzentration von Eigentum in Kolumbien schade dem Land. Gerade die Struktur des Santodomingo-Konzerns, der sich nun für El Espectador interessiert, ist ein gutes Beispiel für diese These. Santodomingo wuchs in den letzten Jahren zu einem der mächstigen Konglomerate in Lateinamerika und der Karibik heran. Unter anderem gehören ihm weite Teile der kolumbianischen und ecuadorianischen Getränkeindustrie, die Airline Avianca und große Ölraffinerien.

Die finanziellen Probleme El Espectadors rühren auch von den immensen Kosten der Sozialleistungen her, schrieb das Wochenmagazin Semana: „Der einzige Weg, aus diesem Loch herauszukommen, ist eine gesicherte Buchung von Werbung, die allein die Gruppe Santodomingo garantieren kann.“ Die Praxis der gegenseitigen Alimentierung, wie Herrán das Phänomen nennt, setzt Santodomingo bei elektronischen Medien bereits um. Die Gruppe kontrolliert Caracol, die größte und wichtigste TV- und Radiostation des Landes.

Klappt der Einstieg bei El Espectador, wäre auch der Eintritt in den Zeitungsmarkt geglückt. Schließlich ist das Blatt mit seiner Auflage von 140.000 das zweitgrößte des Landes, wenngleich mit deutlichem Abstand zum Marktführer El Tiempo (Auflage: 170.000). Der Erzrivale hatte ebenfalls sein Kaufinteresse bekundet, zog sich vorläufig aber wieder zurück. Semana vermutet, bei El Tiempo würde befürchtet, mit Santodomingo im Rücken könne El Espactador zu einer schlagkräftigen Konkurrenz werden. El Tiempo, dem das Wall Street Journal de las Americas beiliegt, war immer ein wenig staatstragender. Auch das mag zum Erfolg im Werbemarkt beigetragen haben, zudem verfügt die Verlagsgruppe Santos aber auch über das qualifiziertere Management.

El Espectador sei stets das unabhängigste und kritischste Medium in Kolumbien gewesen, sagt Lucella Osman de Duque, Kolumbiens Generalkonsulin in Berlin. Wie es nach dem Verkauf weitergeht, ist völlig ungewiß. Matthias Funk