Atomare Rückendeckung von Rot-Grün

Stör- oder Normalfall? Aus dem AKW Krümmel tropft radioaktives Wasser  ■ Von Achim Fischer

„Sofort abschalten“, forderte gestern der Kieler Landesverband der Umweltorganisation BUND, kaum daß der NDR „hohe Kühlwasserverluste im Kernkraftwerk Krümmel“gemeldet hatte. Der Verlust radioaktiven Wassers liegt nach Angaben des Senders „um mehr als das hundertfache“über prognostizierten Werten eines TÜV-Gutachtens von 1983. 500.000 bis 900.000 Liter Wasser habe das AKW in manchem Jahr verloren. Prognostiziert seien jedoch nur 6.000 Liter gewesen. Der NDR stützte sich dabei auf eine Studie der Bremer Professorin Inge Schmitz-Feuerhake.

"Stimmungsmache“und „Verdrehung altbekannter Tatsachen“, gaben die Krümmel-Mitbetreiber Hamburgische Electricitäts-Werke (HEW) zurück. Und erhielten dabei Rückendeckung ausgerechnet von Rot-Grün Kiel. „Dem Energieministerium sind die Werte bekannt“, sagte der grüne Energiestaatssekretär Wilfried Voigt. „Es besteht kein Besorgnispotential.“

Daß es sogenannte Leckagen – auch in diesem Umfang – im Kühlkreislauf gibt, bestreitet auch Voigt nicht: „Das läßt sich nicht verhindern, daß da immer mal was tropft.“Durch die gewaltigen Temperaturen und Drücke tritt Wasserdampf an Dichtungen oder Ventilen aus. Das „Betriebshandbuch“(kein Witz) des AKW sieht stündliche Kühlwasserverluste von bis zu 200 Litern vor. Erst bei höheren Werten müssen die AKW-Betreiber Löcher stopfen. Ab 300 Liter muß die Anlage „abgefahren“werden. Der Wert von 200 Litern ist nach Angaben von Schmitz-Feuerhake „sehr oft“überschritten worden.

„Es handelt sich hier nicht um radioaktive Abgaben an die Umwelt“, betonte Voigt. „Die Leckagen liegen innerhalb eines zusätzlichen Sicherheitsbehälters.“In dem Behälter werde der Dampf aufgefangen, abgekühlt und aufbereitet. Die Werte des Abwassers, das in die Elbe gelangt, betragen nach Angaben des Energieministeriums höchstens ein Hundertstel der genehmigten Belastung. Eine „anlagentechnische Untersuchung“der Landesregierung soll Kühlwasserverluste sowie radioaktive Verstrahlung von Abwasser und Abluft weiter unter die Lupe nehmen.

Und die – angebliche – Überschreitung der prognostizierten Kühlwasserverluste um „mehr als das hundertfache“? Voigt: „Eventuell hat da jemand etwas verwechselt.“Der zitierte Vergleichswert von 1983 habe sich auf einen ganz anderen Anlagenteil bezogen. „Da hat jemand entweder in Unkenntnis oder wissentlich Dinge miteinander verglichen, die nicht zusammengehören“, reagierte HEW-Sprecher Johannes Altmeppen. „Kein Tropfen“der Leckageflüssigkeit gelange ins Abwasser.

Die Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake bezweifelt indessen die von den AKW-Betreibern angegebenen Abwasser-Werte. Nach ihrer Studie enthält das Wasser radioaktive Substanzen in anderer Gewichtung als bislang angenommen. Das Meßsystem sei damit auf die falschen Inhaltsstoffe ausgerichtet. Die überwiegende Belastung (mit Alpha- und Beta-Strahlung) werde nicht erfaßt.