■ Guiseppe Catani produziert einen der besten Aceti Balsamici Italiens. Nichts zu tun haben seine Kreationen mit Industrieware Von Harry Konopke und Manfred Kriener
: Ein essigverrückter Patron

Jeden letzten Sonnabend im Monat werden wir uns auf dieser Seite statt interkulturellen Themen interkulturellen lukullischen Genüssen widmen. Vorgestellt wird jeweils ein Qualitätserzeuger und sein Produkt. Versierte GastkommentatorInnen lassen tief ins Glas, in den Kochtopf blicken. Außerdem: Tips zu Essen und Trinken nebst einem Weintip: Rot – Weiß. Unsere „Sättigungsbeilage“ startet italienisch: Balsamicoessig ist nicht nur ein beliebtes Mitbringsel aus Italien, er hat längst auch im Alltag deutsche Küchen und Gaumen erobert. Mit Recht, denn selbst der Produzent erstarrt aus Ehrfurcht vor seinem Erfolgsrezept: Kein Tropfen Balsamico kommt ihm über die Lippen.

Wenn der Nordwind einweht, wird der Essigmacher sauer. Dann stürmt Guiseppe Catani auf den Dachboden und verrammelt alle Fenster, Klappen und Belüftungsschächte. Diese Gerüche von Großstadt und Industrie, sie sollen seine Schätze nicht verunreinigen. Denn was da in 2.500 Fässern und Fäßchen in seinem Haus bei Modena heranreift, ist hoch empfindsam und manchmal hoch betagt – bis zu 100 Jahre alt.

„Essig besteht aus Bakterien, die leben und atmen“, sagt Catani. Und sie saugen die Aromen aus der Luft. In 1.200facher Vergrößerung hat er der Gattung Acetobacter in die Augen geschaut, und dieser Blick durchs Mikroskop hat ihn tiefer berührt als jede Marienerscheinung. Seitdem ist Guiseppe Catani ein anderer geworden: Er kann keinen Balsamico mehr essen, er bringt ihn einfach nicht über seine Lippen. Zuviel Respekt hat er vor diesem Mikrobengewimmel, als dessen Schöpfer er sich begreift.

Das klingt schon ziemlich verrückt, was der Sechzigjährige erzählt. Und das ist er auch: ein Essigverrückter. Da ist die Geschichte mit den dreizehn Fläschchen, die ihm den Ruf der Hexerei eingebracht hat. Ein Kollege kam in der Not zum großen Catani und stellte ihm einige krank gewordene Essige zur Untersuchung auf den Tisch. Kaum standen die Ballonflaschen vor ihm, hatte sie der Meister schon sortiert. Catani stellte die dreizehn Patienten in genau dieselbe Reihenfolge, in der sie sein Besucher zu Hause lagerte. Erschrocken nahm der Mann reißaus. Das Anwesen des Sehers hat er nie mehr betreten.

Da hat er einiges verpaßt. Nur zu gern führt der Patron durch die blitzsauberen Lager. Mit einer Pipette saugt er dunkelbraunen Sirup aus Fässern und tröpfelt ihn zum Ablecken auf den Handrücken. Aromen von Tabak, Waldhonig, Teer, die Würze von Hölzern und eine zarte Süße – mit gemeinem Essig hat die kostbarste Flüssigkeit Italiens nun wirklich nichts zu tun.

Seinen ältesten Konzentraten nähert sich Catani „mit einer Gänsehaut“. Nicht nur weil 0,1 Liter im klassisch-bauchigen Miniaturflacon schnell mal 1.000 Mark kosten. Aber hier hat noch sein Ururgroßvater Hand angelegt. Das Jahrhunderte alte Herstellungsverfahren hat sich seitdem kaum geändert. Frisch gepreßter Saft aus überreifen Trauben der Trebbianorebe wird unvergoren zwölf Stunden eingekocht. Ein gutes Drittel bleibt übrig – je nach erwünschtem Grad der Süße und Konzentration. Nun wird der Dickmost mit Essigbakterien geimpft, und es beginnt jene wundersame Wandlung, deren letzte Details sich bis heute der wissenschaftlichen Analytik entziehen.

Ein Geschäft für Hektiker ist das wahrlich nicht. Jahr für Jahr wird der Essig reifer, konzentrierter, edler, dunkler. Jahr für Jahr wird er von einem Holz ins nächste umgezogen. „Batterie“ heißt die Einheit von acht bis zehn immer kleiner werdenden Fässern: Kastanie, Kirsche, Birne, Linde, Eiche und Esche dienen bei Catani als Aromatresoren. Jede Familie in Modena schwört auf ihre eigene Mischung und Stilistik. Im Lauf der Zeit verdunstet der Ursaft: Aus 100 Kilo Trauben werden zwei bis drei Liter Aceto balsamico tradizionale – der Stolz der Emilia-Romagna.

Kaum ein Haus, unter dessen Dach nicht eine kleine Fässersammlung reift. Wofür mußte der Aceto nicht alles herhalten: Arznei, Wundbalsam, Haarwaschmittel, zur Desinfektion, Konservierung und Würze – ein Lebenselexier, wie Tafelsilber vererbt von Generation zu Generation. Inzwischen, so klagen die Puristen, ist das Edelprodukt aus der Emilia-Romagna zum schicken Hobby für Neureiche und die Hochfinanz geworden. Selbst Opernstar Luciano Pavarotti rühmt sich, das eigene Fäßchen Aceto auf einem Dachboden stehen zu haben.

Mindestens zwölf Jahre muß der Ausbau des Tradizionale heute dauern, darüber wacht ein 1969 gegründetes Konsortium. Die Herren rühmen sich, sie hätten die Pretiose zu Italiens bestkontrolliertem Lebensmittel gemacht. Es wäre ein Wunder, läge Guiseppe Catani mit diesen Essigwächtern nicht im Zwist. „Braune Brühe“ sei manches, was unter dem noblen Label angeboten wird, viel zu süßlich für seinen Geschmack: „Essig darf nicht nach Marmelade schmecken.“ Die leicht flüchtige Säure zu erhalten, das genau ist für ihn die Kunst.

Fundament für die Qualität seines Produkts ist „la campagna“ – der Weinberg. Catani kauft keine fremden Trauben, er hat eigene Rebstöcke in Hügellagen, bewirtschaftet sie streng biologisch. Durch die enorme Verdunstung der Flüssigkeit konzentrieren sich auch die Gifte, und der Verzicht auf Pestizide läßt den Essig besser reifen.

Die Bakterien züchtet und selektioniert der Perfektionist selbst. Mit breitem Grinsen lupft er den Deckel von einem kegelförmigen Bottich, in dem eine schwarze Suppe wabert, und bittet zum Schnuppertest. Wer unbedacht eine tiefe Nase voll nimmt, weiß, was ein rechter Haken von Mike Tyson ist. Beißender Schmerz läßt den Kopf zurückzucken. Spätestens jetzt wird klar, warum Catani seinen Geruchssinn weitgehend eingebüßt hat. Essige beurteilt er überwiegend mit dem Auge, „wie die Bilder großer Meister“.

Wenn's unbedingt sein muß, borgt sich Guiseppe die Nase seines Sohnes. Familienharmonie ist alles – gerade bei der Essigherstellung, sagt der Patron. Dann legt er den Kopf zurück, krault sich im Bart und philosophiert über den Zusammenhang von häuslicher Atmosphäre und Essig: „Eine Familie“, sagt er mit tiefem Ernst, „die lustlos ist und sich viel streitet, kann niemals einen großen Essig machen, die Bakterien spüren die Stimmung um sie herum.“ Fünf Minuten später brüllt er seinen Sohn an. Keine Angst: Die Mikrobe wird's dem großen Meister verzeihen. Dieses eine Mal noch.